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Allein unter 1,3 Milliarden: Eine chinesische Reise von Shanghai bis Kathmandu

Allein unter 1,3 Milliarden: Eine chinesische Reise von Shanghai bis Kathmandu

Titel: Allein unter 1,3 Milliarden: Eine chinesische Reise von Shanghai bis Kathmandu
Autoren: Christian Y. Schmidt
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bezeichnete, kann mir garantiert nichts über die nepalesischen Maoisten sagen.
    Am Ende treffe ich sie rein zufällig am Ratnapark. Dieser einzige große Park im Zentrum Kathmandus ist vollkommen verrottet und zugemüllt und scheint deshalb so etwas wie der Treffpunkt für alle Schlechtgelaunten dieser Stadt zu sein. Dabei handelt es sich hauptsächlich um junge Männer, die unter den Dächern von halbverfallenen Pilzpavillons sitzen und finster in Feuerchen aus Maisblättern starren, die überall im Park vor sich hin glimmen. Der allgemeinen Depression stemmt sich heute nur eine Mannschaft gutgelaunter Revolutionäre entgegen, die auf der Ladefläche eines kleinen Trucks den Park umkreisen, wobei sie rote Fahnen schwenken und Parolen rufen. So sieht es aus, wenn in Hollywoodfilmen der Vorabend einer Revolution gezeigt wird, nur noch ein bisschen echter.
    Ob die Rebellen auf dem Truck allerdings auch Maoisten sind, kann ich nicht sagen. Außer den roten Fahnen tragen sie keinerlei Embleme zur Schau, sieht man mal von dem Logo des britischen Mobilfunk-Anbieters O2 ab, das auf dem T-Shirt eines Revolutionärs prangt. Es können also auch Anhänger der CPN-UML, CPN-UC-M, CPN-Unified, CPN-UM oder CPN-United sein, wenn nicht gar Mitglieder der Nepal Workers and Peasants Party. Ganz eindeutig Anhänger des Großen Vorsitzenden aber ist ein Mann, der auf einem Mäuerchen eine Art Büchertisch aufgebaut hat. Zwar kann ich keinen der ausliegenden Titel lesen, denn sie sind alle auf Nepali. Doch die Köpfe von Marx, Engels, Lenin, Stalin und Mao auf den Büchern erinnern mich an glückliche Jugendtage.
    Es gibt jedoch auch Unterschiede zu früher. Insbesondere scheint die nepalesische Spielart des Maoismus eine Vorliebe für Schnurrbartträger zu haben. Stalin ist mehrmals vertreten, und auch der grimmige Genosse Prachanda orientiert sich oberlippenfrisurmäßig an dem alten Sowjetdiktator. Doch das bleibt alles noch im maoistischen Rahmen. Nur, was um alles in der Welt hat der Schnauz von Saddam Hussein auf dem Büchertisch zu suchen? Das will ich den Buchhändler fragen. Als ich zu ihm aufblicke, sieht mich dieser Mann mit exakt dem gleichen Saddam-Schnauz unter der Nase sehr finster an. Ich weiß nicht, wofür er mich hält, aber das, was ich in seinen Augen lese, scheint so etwas wie Agent des Schweinesystems oder verdammter Imperialistenknecht zu heißen.
    Da gehe ich lieber ganz schnell weg und lege zugleich den letzten Maoismus der Welt unter Schnauzbartkommunismus ad acta. Kaum bin ich ein paar Meter weiter, fällt mir ein seltsames Denkmal auf, das man am Rand des umzäunten Königinnenteichs errichtet hat. Auf einer vier Meter hohen Pyramide aus Naturstein steht offenbar eine Büste. Ich kann sie allerdings nicht genau erkennen, denn sie ist von einem roten Tuch verhüllt. Auch die Gedenktafeln an der Pyramide sollten eigentlich abgedeckt sein. Der Wind hat aber hier das Tuch etwas zur Seite geweht, sodass ich lese, das Denkmal sei einem Mann namens Ganesh Man Singh gewidmet.

    «Wer ist das?», frage ich einen jungen Mann in einem Suzuki-T-Shirt, der mit einer Gruppe anderer junger Männer vor dem Denkmal sitzt. «Ein guter Mann. Nicht korrupt. Der Vater der nepalesischen Demokratiebewegung», antwortet Suzuki. «Aber warum ist das Denkmal dann verhüllt? Hier auf der Tafel steht eingraviert, Premierminister Koirala habe das Denkmal am 5. Juni eingeweiht. Heute ist der 18. August.» Suzuki denkt kurz nach: «Wahrscheinlich hatte der Premierminister keine Zeit.» – «Keine Zeit? Die Regierung ist hier gleich um die Ecke. Da wird der doch irgendwann mal rüberkommen können?» Mein Gesprächspartner wird richtig böse und gibt patzig zurück: «Dann war er eben krank.»
    Natürlich weiß ich, dass das nicht stimmt. Aber der ganze Vorgang scheint mir bezeichnend für dieses Land, in dem jeder Tagestourist nach einem Stadtbummel und ein wenig Zeitungslektüre feststellen kann, dass gar nichts klappt und es anscheinend niemals vorwärtsgehen wird, wenn sich nicht etwas Entscheidendes ändert. Noch nicht einmal eine schlichte Denkmalenthüllung kriegen sie hin. Wie anders doch dagegen China, das mir hier in Nepal plötzlich perfekt zu sein scheint. Die Schulen und Unis dort funktionieren und die Müllabfuhr und die Kanalisation, die Häuser sind keine Bruchbuden, die Straßen sind geteert, es gibt Strom rund um die Uhr, und sicher erscheint in ganz China keine Zeitung, in der die Kontaktanzeigen nach Kasten unterteilt
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