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Allein unter 1,3 Milliarden: Eine chinesische Reise von Shanghai bis Kathmandu

Allein unter 1,3 Milliarden: Eine chinesische Reise von Shanghai bis Kathmandu

Titel: Allein unter 1,3 Milliarden: Eine chinesische Reise von Shanghai bis Kathmandu
Autoren: Christian Y. Schmidt
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Supermärkte, mehrstöckige Hotels und Internetcafés an der Straße. Vereinzelt sieht man bereits Frauen in Saris durch die Gegend laufen, Inderinnen oder Nepalesinnen. Die Grenze ist nur noch gut vierzig Kilometer entfernt. Super, höchstens noch zwei Stunden, dann sind wir in Nepal.
    Tatsächlich könnte es klappen, wäre da nicht dieser Stau mitten in der Kleinstadt. Die Straße ist auf den letzten Kilometern gesperrt. «Bis neunzehn Uhr», bringt Pemba in Erfahrung, «wegen Bauarbeiten.» Das heißt, wir können Nepal für heute vergessen. Um sieben machen die chinesischen Beamten an der Grenze Feierabend, und damit ist dann China bis morgen früh geschlossen. Langsam kommt es mir wirklich so vor, als ob irgendjemand nicht will, dass ich dieses Land jemals wieder verlasse. Ist es Buddha, mit dem ich mich auf der Fahrt immer wieder angelegt habe? Oder irgendeine andere Macht? Nyalam soll auf Tibetisch Tor zur Hölle heißen. Habe ich mich denn auch gegen den Herrn der chinesischen Unterwelt versündigt?
    Nun ja, dann müsste er auch die rund sechzig anderen Jeep-Besatzungen hassen, die mit uns zusammen vor dem Schlagbaum warten. Wir vertreiben uns die Zeit, so gut es geht. Jean setzt sich vor einen Supermarkt und zeichnet die Dzos, die noch einmal über die 318 getrieben werden. Christian, Sebastian und ich gehen in ein Internetcafé. Als wir wieder draußen sind, ist die Straße nass. Ich glaube, das ist der erste Niederschlag seit den Schneefällen am Dungda-Pass vor zweitausend Kilometern.
    Kurz vor sieben ertönt plötzlich ein kollektiver Schrei. Alles stürzt zu den Jeeps, der Schlagbaum geht hoch, zum letzten Stück der Strecke. Tatsächlich wird es ein imposantes Finale. Von Nyalam bis Zhangmu führt die Straße mehr als tausend Meter steil hinab, und kaum sind wir losgefahren, weiß ich, warum sie die Stadt Tor zur Hölle nennen. Das letzte Stück der 318 ist nämlich das schlechteste und wahrscheinlich auch gefährlichste der ganzen Strecke seit Shanghai, wenn es auch andere Teilstücke gibt, die für sich diese Auszeichnung in Anspruch nehmen. Die Straße ist nicht nur ungeteert und eng, wegen des auf die Berge prallenden Monsuns regnet es hier auch andauernd.

    Kaum haben wir zwei Kilometer hinter uns, prasselt es vom Himmel wie aus Feuerwehrschläuchen, und von den steilen Abhängen fallen Wasserfälle über Felsvorsprünge direkt auf die Straße. Weil die Scheibenwischer dagegen nichts mehr ausrichten können, tastet sich Dorje völlig blind weiter. Auch sonst ist die Sicht miserabel. Es dämmert langsam, und über, neben und unter uns wabern Wolken oder Nebel. Die Schlucht direkt neben der Straße muss ein paar hundert Meter tief sein, aber das sieht man nur, wenn der Nebel manchmal aufreißt. Wirklich höllisch aber ist, dass die Straße gerade komplett neu gebaut wird. Immer wieder fehlen überraschend große Straßenstücke, Schutt-und Schotterhaufen versperren den Weg, und es gibt keine Fahrbahnbegrenzung. Gegen diesen Ritt hier war die Fahrt zum Everest eine kleine Spritztour.
    Angesichts der Straße und des Wetters ist die ganze Jeep-Besatzung ziemlich still geworden. Nur ich schreie die ganze Zeit begeistert rum: «Toll! Toll! Toll! Wie ein Actionfilm in den letzten zehn Minuten! Das fehlte mir noch in meinem Buch! Ein bombastischer, perfekter Schluss!» Es macht mir auch nichts, dass ich es nicht schaffe, ein Seitenfenster rechtzeitig zu schließen, als wir wieder einen Wasserfall durchfahren. So werde ich auf den letzten Kilometern meiner Straße noch patschnass. Doch egal, egal, egal. Hauptsache, es ist noch einmal richtig aufregend. Angst habe ich keine. Wieso auch? Solange ich noch in China bin, kann nichts passieren. Das sagt jedenfalls ein Schild am Straßenrand, das durch den Nebel gerade so zu erkennen ist und das mir Sebastian übersetzt: «Sicherheit ist eine Frage des Gesellschaftssystems.» Genau.
    Nach knappen drei Stunden Kampf erreicht der Jeep schließlich Zhangmu. Die Stadt liegt an einem steilen Hang auf nunmehr lächerlichen zweitausenddreihundert Metern. Die Vegetation hat sich in einen subtropischen Dschungel verwandelt, und die 318 windet sich durch die Stadt in scharfen Serpentinen. Die tibetischen Hotels, die uns Pemba zeigt, sollen uns wohl nochmal für die Sache mit dem Lenkradschloss bestrafen. Es sind feuchte Kellerlöcher, und auf den Betten liegen frisch mit der Baygon-Spraydose gekillte Kakerlaken. Wir gehen in ein anderes Hotel, laden das Gepäck aus, und
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