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Allein unter 1,3 Milliarden: Eine chinesische Reise von Shanghai bis Kathmandu

Allein unter 1,3 Milliarden: Eine chinesische Reise von Shanghai bis Kathmandu

Titel: Allein unter 1,3 Milliarden: Eine chinesische Reise von Shanghai bis Kathmandu
Autoren: Christian Y. Schmidt
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Schnurrbart als der Boss zu erkennen, unterschreibt es eigenhändig mit dem Füller.

    Noch rückständiger kommt mir Kathmandu vor, das wir nach hundertsiebzig Kilometern Fahrt am Nachmittag erreichen. Die Stadt sieht aus wie ein Anti-Lhasa. Von Modernisierung kaum eine Spur, stattdessen habe ich das Gefühl, im Mittelalter angekommen zu sein. Auf Stupas aus rotem Backstein hocken große Menschentrauben und starren auf den Verkehr, der hauptsächlich aus winzig kleinen Taxis, Tuk-Tuks, und Fahrradrikschas besteht. In den engen Gassen der Altstadt wimmelt es von Marktfrauen und Händlern, heiligen Kühen und nicht so heiligen Ziegen, von Trägern und Bettlern, von hinduistischen Saddhus mit bunter Stirnbemalung, Baba-Mönchen und Kindern. Die Straßen sind nicht geteert und haben sich durch den Regen in rote Schlammbahnen verwandelt. Überall türmen sich Müllhaufen. Die Abfälle scheinen einfach dort liegen zu bleiben, wo man sie hingeschmissen hat, selbst vor den unzähligen Tempeln und Palästen.
    Diese Stadt wirkt tatsächlich außerordentlich exotisch, doch scheint es sich um die Form von Exotik zu handeln, die mehr den Touristen gefällt als denen, die in einer solchen Umgebung wohnen. Viele Nepalesen schauen durchaus finster drein, wahrscheinlich, weil sie so sichtbar arm sind, sogar ärmer als ihre auch nicht besonders reichen Nachbarn in Tibet. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass Nepal so weit zurückliegt. Immerhin ist das Land zwischen den Boomländern China und Indien eingekeilt. Und wer längere Zeit in China lebt, glaubt sowieso, die Dritte Welt sei abgeschafft. Ich bin aber vielleicht auch deshalb so überrascht, weil ich mich auf Nepal nicht sonderlich vorbereitet habe. Ich wollte in Kathmandu eigentlich nur zwei letzte Dinge erledigen und dann sofort nach Hause fliegen.
    Ding Nummer eins ist, mich sofort nach meiner Ankunft auf ein Bett zu legen, mich mit gutem Schwarzem Nepalesen zuzudröhnen und die letzten drei Monate noch einmal entspannt und vom Haschisch inspiriert zu reflektieren. Dieser Vorsatz ist wirklich kinderleicht umzusetzen, zumindest der Teil mit dem Dröhnen. Wir müssen dazu nur in ein Guesthouse in der sogenannten Freak Street ziehen, uns dann am Abend auf die dunkle Straße stellen und fünf Minuten warten, bis uns ein Dealer anspricht. Eine halbe Stunde später sind Christian, Sebastian und ich für umgerechnet fünfzehn Euro stolze Besitzer eines Piece so groß wie eine Tafel Schokolade.
    Davon kiffen wir gleich nach dem Einkauf auf dem Zimmer des Monumental Paradise – das ist der Name unseres Guesthouse – einen großen Brocken weg. Doch statt über meine Reise zu sinnieren, führe ich mit meinen Reisebuddys ein mehrstündiges Fachgespräch über die «Star Wars»-Filme. Sebastian behauptet, George Lucas habe bereits in den Siebzigern alle Star-Wars-Episoden geschrieben und sie dann nach einem präzisen Plan verfilmt: «Es waren insgesamt sieben. Eine kommt noch im nächsten Jahr, und dann ist leider Schluss.» – «Das ist leider Quatsch», lautet meine These. «Lucas hat sicher erst nur eine Folge geschrieben, und als der Film dann der größte Erfolg aller Zeiten wurde, kamen nach und nach die anderen.» – «Nein, Lucas ist ein Genie. Er hat alles von Anfang an geplant.» Weil wir so bekifft sind und ausnahmsweise mal nicht googeln können, was jetzt stimmt, gehen die Argumente lange hin und her. Am Ende glaube ich, dass ich Luke Skywalker bin, der gerade aus einer Schlacht mit dem Imperium zurückgekehrt ist, angeschlagen, aber nicht besiegt. Das bringt meine Reise eigentlich auch ganz gut auf den Punkt.

    Es ist eine monumental paradiesische Feier zum Abschied von meinen neugewonnenen Freunden und der langen Straße, auch oder gerade weil der Strom zwischendurch immer mal wieder ausfällt. Unten auf der Freak Street geht es derweil nicht ganz so entspannt zu. Jedes Mal, wenn wir im vierten Stock aus dem Fenster sehen, patrouillieren Polizisten in Kampfanzügen vorbei. Sie tragen lange Bambusknüppel in den Händen und Gewehre über den Schultern und halten von Zeit zu Zeit die wenigen Passanten an, die sich um diese Zeit noch auf die Straße trauen. Ein martialisches Bild wie aus lateinamerikanischen Diktaturen.
    Die Patrouillen erinnern mich aber auch an mein zweites Vorhaben: Ich will die Maoisten treffen. Nepal ist nämlich das einzige Land der Welt, in dem echte Maoisten heute noch maßgeblichen politischen Einfluss haben. In einem Guerillakrieg haben sie seit
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