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Allein unter 1,3 Milliarden: Eine chinesische Reise von Shanghai bis Kathmandu

Allein unter 1,3 Milliarden: Eine chinesische Reise von Shanghai bis Kathmandu

Titel: Allein unter 1,3 Milliarden: Eine chinesische Reise von Shanghai bis Kathmandu
Autoren: Christian Y. Schmidt
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Shanghais berühmter Uferpromenade, dem Bund. Ins M wollte ich schon immer mal, allein um rauszukriegen, wofür das M steht.
    So schlendere ich am Abend den Bund entlang, der auf Chinesisch gar nicht so heißt, sondern Zhongshan Lu, die Sun-Yatsen-Straße. Den Namen Bund hat dieser Boulevard am Huang-Pu-Fluss von den Ausländern bekommen, die sich im 19. Jahrhundert große Teile Shanghais unter den Nagel gerissen hatten. Auch die rund fünfzig historischen Gebäude, die hier stehen, haben sie gebaut. Die Häuser stammen zum größten Teil aus den zwanziger und dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts, als Reiseführer schrieben, Shanghai sei das «Paris des Ostens», das «New York des Westens» oder einfach «die kosmopolitischste Stadt der Welt». Damals entstanden hier Filialen internationaler Banken, Konsulate, Zeitungsredaktionen und Hotels. Im Zentrum des ganzen Ensembles befand sich die Zentrale der Hongkong-Shanghaier Bankgesellschaft, 1923 von britischen Architekten gebaut, seinerzeit das zweitgrößte Bankgebäude der Welt. Darin residierte zwischenzeitlich die Shanghaier Stadtregierung, aber seit 1997 gehört das Gebäude wieder einer Bank. Wer ihre marmorüberladene Kassenhalle betritt, fragt sich auch heute noch unwillkürlich, wo es zu den Zügen geht, so gigantisch wirkt dieser Geldverschiebebahnhof.
    Das Gebäude, in dem sich das M on the Bund im sechsten und siebten Stock befindet, ist etwas weniger spektakulär. Es beherbergte einst eine japanische Schifffahrtsagentur, die nicht ganz so viel Geld für Marmor hatte. Die Bar ist trotzdem nicht zu verachten, und am schönsten sind die großen Fenster und die Dachterrasse, von der aus man über den Huang Pu sehen kann und den ganzen Bund entlang. Trotzdem bekomme ich einen Schreck, als ich den Laden betrete. Von einem Aufsteller schaut mich ein kleiner Terrier aus traurigen Knopfaugen an. Darunter steht: «Share your heart and your home with an animal.» Ich bin in eine Veranstaltung von Tierschützern geraten. Davon hatte Peter nichts gesagt.
    Ich habe nichts gegen Tiere; solange sie mich nicht beißen oder mir vor die Füße scheißen, ist alles okay. Dasselbe gilt für Tierschützer. Normalerweise gehe ich allerdings nicht auf ihre Partys. Aber was soll’s: In China tue ich dauernd Sachen, die ich zu Hause niemals tun würde, macht nichts, hier kennt mich ja kaum einer. Ich heiße sogar anders. Peter stellt mich Carol vor. «Das ist Chris. Er will von hier aus durch ganz China reisen.» – «Oh, du Armer …», sagt Carol mit dieser künstlichen Quäkstimme, mit der Amerikanerinnen gerne zu ihren Haustieren oder Babys sprechen. Carol ist klein, schlank, rothaarig und außerdem die Gründerin und Vorsitzende der Bewegung. Wenn sie ein Tier wäre, dann wäre sie ein Frettchen; ein Nagetier, vor dem ich mich zeit meines Lebens gefürchtet habe, allein weil es so unersättlich ist. Carol ist auch die Autorin des Buches, das heute Nachmittag vorgestellt wird, von ihr selbst, barfuß und in einem schwarzen Cocktailkleid. Dazu setzt sich Carol auf eine kleine Bühne, auf der neben Carols Sessel auch eine Flipchart steht, die rund dreißig postkartengroße Carol-Fotos zeigt. Das Buch handelt von Carols grauen Haaren, die in den letzten Jahren mehr und mehr geworden sind, auf Carols Frettchenkopf. Außerdem geht es um die sechsundzwanzig Jahre ihres Lebens, die sie in Asien zugebracht hat, darum, dass es in China kein anständiges Mittel zum Haarefärben gibt, und ihren ersten Liebhaber, einen Griechen.
    Das Publikum ist von Carols Vortrag hingerissen. Es besteht zu drei Vierteln aus kaukasischen Frauen aller Alters-und Gewichtsklassen, zum größten Teil Mitglieder der Tierschutzsekte, die, wie ich an ihren Augen sehe, ihre kleine Vorsitzende rückhaltlos bewundern. Chinesinnen gibt es auch ein paar, doch die meisten sind ABC, was American Born Chinese bedeutet, oder mit Ausländern verheiratet. Unterrepräsentiert sind die chinesischen Männer, vermutlich weil chinesische Männer meist ein deutlich kulinarischeres Verhältnis zu Tieren haben. Carols Verein, so sagt Carol, würde einem einheimischen Tierarzt kein Tier anvertrauen.
    Auch die chinesischen Behörden stehen für sie auf der anderen Seite des Schützengrabens. Das lese ich in einem Interview, das Carol einem Magazin gegeben hat und das am Büchertisch ausliegt. Hier empört sie sich über die Stadtverwaltung Pekings, die unregistrierte Hunde einfangen und töten lässt: «In Shanghai könnte
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