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Allein in der Wildnis

Allein in der Wildnis

Titel: Allein in der Wildnis
Autoren: Gary Paulsen
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bevor er betäubt einschlief. Bald wird es Tag, murmelte er mit heiserem Flüstern.
    Die Schwere des Schlafs fiel von ihm ab und die Welt wurde wieder lebendig.
    Noch immer hatte er Schmerzen am ganzen Körper. Seine Beine waren starr und verkrampft. Sein Rücken schmerzte bei jeder Bewegung. Am schlimmsten war dieses stechende Pochen im Kopf, das mit jedem Herzschlag pulsierte.
    Brian wälzte sich auf den Rücken und befühlte seine Hüften, seine Beine, bog seine Knie. Er rieb sich die Arme und Schultern. Nichts schien gebrochen, nichts schien verstaucht. Als Kind war er einmal mit seinem Roller gegen ein parkendes Auto gekracht. Damals hatte er sich den Knöchel gebrochen und musste acht Wochen lang einen Gipsverband tragen. Diesmal aber fühlten sich die Schmerzen anders an. Nichts war gebrochen, zum Glück. Nur Prellungen.
    An der Stirn hatte er eine gewaltige Beule. Wie ein Horn sprang sie über dem einen Auge hervor. Die Schwellung war so empfindlich, dass Brian fast aufschrie, als er sie mit dem Finger berührte. Mit der Zeit würde das heilen, wie auch die anderen Prellungen an seinem Körper.
    Ich bin am Leben!, dachte er. Ich lebe. Wie leicht hätte es anders kommen können. Der Tod war so nah. Ich hätte sterben können, dachte er. Der tote Pilot fiel ihm plötzlich ein. Der Pilot dort im Flugzeug, tief unten im Wasser. In blauer Tiefe, angeschnallt an seinen Sitz.
    Brian richtete sich auf – oder versuchte es. Beim ersten Mal sank er stöhnend nach hinten. Aber beim zweiten Versuch biss er die Zähne zusammen und schaffte es, sich in sitzender Haltung seitwärtszuschieben, bis er seinen Rücken an einen Baumstamm lehnen konnte. Dort saß er und blickte über das Wasser und sah den Himmel heller werden, während die Morgendämmerung anbrach.
    Seine Kleider waren feucht und kalt und er fröstelte. Er zog sich die Reste seines zerfetzten Anoraks um die Schultern und drückte die Arme gegen die Rippen. Er konnte nicht denken. Sosehr er sich anstrengte, er konnte keinen klaren Gedanken fassen.
    Manchmal glaubte er, dass er den Absturz mit dem Flugzeug nur geträumt hatte; dass er im Traum mit dem Flugzeug versunken und dann ans Ufer geschwommen war. Dass all dies einem anderen Menschen passiert war – wie in einem Film, der in seinem Kopf abrollte.
    Dann aber fühlte er seine nasskalten Kleider und spürte den bohrenden Schmerz an der Stirn, der auch sein Hirn zu lähmen schien. Und da wusste er, dass all dies Wirklichkeit war, dass es tatsächlich passiert war.
    Trotzdem kam es ihm vor, als lebte er in einer Nebelwelt. So blieb er sitzen und starrte auf den See hinaus. Und während der Schmerz in Wellen durch seinen Körper wogte, sah er, wie über dem fernen Ufer die Sonne aufging.
    Eine Stunde saß er, zwei vielleicht. Er konnte die Zeit nicht abschätzen und es war ihm auch egal. Die Sonne war ein Stück am Himmel hinaufgeklettert und mit den ersten warmen Strahlen kamen Wolken von Insekten, dichte Mückenschwärme, die sich auf Brian stürzten und die unbedeckten Stellen seines Körpers mit einem wimmelnden, krabbelnden, stechenden Pelz überzogen. Beim Einatmen krochen sie in seine Nase. Sie drangen ihm in den Mund, als er nach Luft zu schnappen versuchte.
    Es war unglaublich. So etwas gab es nicht. Er hatte den Flugzeugabsturz überlebt, aber die Moskitos gaben ihm den Rest. Er würgte sie hustend heraus, spuckte sie aus, schnäuzte sich durch die Nase. Er kniff die Augen zusammen und schlug sich mit beiden Händen vors Gesicht, um jedes Mal Hunderte von Moskitos zu zerdrücken.
    Aber kaum hatte er ein Fleckchen seiner Haut befreit, kamen neue Schwärme angeschwirrt – wütende Geschwader. Moskitos und kleinere schwarze Mücken, die er noch nie gesehen hatte. Und alle stachen und saugten und schlürften sein Blut. Binnen Sekunden waren seine Augen verquollen und sein Gesicht aufgedunsen und prall, fast wie die Beule an seiner Stirn.
    Er zog sich seinen zerfetzten Anorak über den Kopf, um sich zu schützen, aber es waren zu viele Löcher im Stoff und es nützte nichts. Verzweifelt zog er sich sein T-Shirt übers Gesicht, aber dabei entblößte er seinen Rücken und die Moskitos stürzten sich so angriffslustig auf die ungeschützte Haut, dass er das Hemd sofort wieder nach unten zog.
    Am Ende blieb ihm nichts anderes übrig, als sich in die Fetzen seines Anoraks zu hüllen. Mit beiden Händen vor seinem Gesicht fuchtelnd versuchte er den Angriff der Mückenschwärme irgendwie zu überstehen.
    Brian
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