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Allein in der Wildnis

Allein in der Wildnis

Titel: Allein in der Wildnis
Autoren: Gary Paulsen
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hatte das Flugzeug so viel Geschwindigkeit verloren, dass es beinahe schwebend in der Luft zu hängen schien. Das Steuer und die Pedale fühlten sich irgendwie locker an, locker und kraftlos, und Brian erschrak. Sofort drückte er den Knüppel wieder nach vorn und das Flugzeug glitt schneller – aber jetzt waren wieder nur Bäume im Blickfeld und der See lag unerreichbar weit vorn.
    Einen Moment hing alles in der Kippe. Das Flugzeug flog – aber es flog viel zu langsam. Nie würde es den See erreichen. Brian schaute zum Seitenfenster hinaus und dort sah er einen Teich, und am Teichufer stand ein großes Tier – wahrscheinlich ein Elch – und starrte aufs Wasser hinaus. Alles wirkte so friedlich, so reglos wie auf einem Gemälde: der Teich und der Elch und die ragenden Bäume. Brian glitt, keine hundert Meter mehr hoch, rasch darüber hinweg.
    Dann passierte alles auf einmal. Die Baumwipfel standen in schrecklicher Klarheit vor ihm, wie in Großaufnahme füllten sie das ganze Bild mit ihrem Grün und Brian wusste: Jetzt war es aus, er würde in die Bäume krachen und sterben.
    Aber er hatte Glück, und eine Sekunde bevor die Maschine die Wipfel streifte, tat sich eine Lichtung auf, eine längliche Schneise mit sturmgeknickten Bäumen, eine breite Gasse bis hinunter zum See.
    Das Flugzeug, das sich nicht mehr in der Luft halten konnte, schien wie ein Stein auf diese Lichtung zu stürzen und Brian riss das Steuer zurück und wartete auf die Bruchlandung. Aber noch glitt die Maschine, mit letztem Schwung, und als Brian das Steuer zurückriss, kam die Nase noch einmal hoch – und jenseits der Motorhaube sah er den glitzernden See. In diesem Moment krachte das Flugzeug zwischen die Bäume.
    Ein metallisches Knirschen fuhr durch den ganzen Rumpf, als die Tragflächen sich in den hohen Fichten zu beiden Seiten der Schneise verfingen und direkt aus ihren Verstrebungen gerissen wurden – knapp wie geknickte Streichhölzer. Staub und Dreck stoben vom Fußboden auf, prasselten ihm ins Gesicht – und einen Moment glaubte Brian an eine Explosion. Er war geblendet, wurde nach vorn geschleudert und knallte mit dem Kopf gegen das Steuer.
    Es war ein klirrender Krach, ein scheppernd metallisches Bersten, als das Flugzeug sich überschlug und kreiselnd über die Böschung schoss, hinaus auf den See, wo es aufschlug auf einer Wasserfläche, hart wie Beton, wieder abprallte und dann eintauchte in das Wasser, das die Windschutzscheibe zersplitterte und die Seitenfenster eindrückte – mit einem Wasserschwall, der Brian in seinen Sitz zurückschleuderte. Er hörte jemanden schreien, einen tierischen Schrei der Angst und der Qual, und er wusste nicht, ob es seine eigene Stimme war, die gegen die Flut anbrüllte, während er mit dem Flugzeug ins Wasser sank, immer tiefer ins kaltblaue Wasser. Er spürte und sah nichts als blaugrüne Kälte und riss an der Schnalle des Sicherheitsgurts, bis seine Fingernägel brachen; bis er sich mit einem letzten Aufbäumen – fast schon ertrinkend in der gurgelnden Flut – endlich befreien konnte. Irgendwie zwängte er sich durch das zersplitterte Fenster, reckte die Arme hinauf ins lichtere Blau, während ihn etwas mit unerbittlicher Kraft zurückhielt und in die Tiefe zu ziehen schien. Als der Stoff seines Anoraks riss, spürte er einen zerrenden Ruck und war frei – entronnen und frei.
    Noch nicht ganz. Es war weit bis zur Oberfläche, doch seine Lunge konnte nicht mehr, rang nach Luft, schmerzte bis zum Zerspringen, ließ ihn den Mund aufsperren, Wasser schlucken – einen drängenden Wasserschwall, der ihn doch noch besiegen würde. Doch im selben Moment stieß sein Kopf durch die sonnenglitzernde Oberfläche, an die Luft. Brian erbrach sich, spuckte das Wasser aus, das in ihn eingedrungen war, strampelte mit den Füßen und ruderte mit den Händen vorwärts. Ruderte krampfhaft und besinnungslos vorwärts, bis seine Hände in Schlamm und Schlick wühlten, bis er – mit einem Schrei – seine Finger im Gras verkrallte und keuchend seine schmerzende Brust auf die Kieselsteine am Ufer drückte. Sein Gesicht lag auf dem rauen Sand, Blitze zuckten vor seinen Augen – und dann ging das Licht aus. Eine schwarzviolette Farbe stieg in ihm hoch, eine Farbe, wie er noch keine gesehen hatte, die wirbelnd in seinem Kopf explodierte und mit unendlichen Ringen verebbte, und Brian versank, stürzte auf einer Spiralenbahn in die Unendlichkeit, hinaus aus der Welt – und ins Nichts.

4
    Wie ein Messer
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