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Absolution - Roman

Absolution - Roman

Titel: Absolution - Roman
Autoren: Deutsche Verlags-Anstalt
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SAM
    »Man hat mir gesagt, dass wir uns in London begegnet sind, Mr Leroux, aber ich erinnere mich nicht an Sie«, sagt sie und versucht, sich aufzurichten, ihren Körper dort zu strecken, wo es schwerfällt.
    »Das stimmt. Wir sind uns begegnet. Aber nur kurz.« Genau genommen war das nicht in London, sondern in Amsterdam. Sie erinnert sich an eine Preisverleihung in London, bei der ich nicht gewesen bin. Ich erinnere mich an die Konferenz in Amsterdam, zu der ich einen Beitrag geleistet habe – eingeladen als vielversprechender junger Kenner ihres Werks. Damals hat sie charmant meine Hand ergriffen. Sie hat auf mädchenhafte Weise gelacht und ist beschwipst gewesen. Diesmal kann ich keine Spur von Rausch entdecken. In London habe ich sie nie getroffen.
    Es hat da natürlich noch das andere Mal gegeben.
    »Nennen Sie mich bitte Sam«, sage ich.
    »Mein Lektor sagt nette Dinge über Sie. Ihr Aussehen gefällt mir aber nicht. Sie wirken fashionabel.« Bei der letzten Silbe zieht sie die Lippen hoch, ihre Zähne sind entblößt. Eine graue Zunge ist kurz zu sehen.
    »Nicht, dass ich wüsste«, sage ich und kann ein Erröten nicht verhindern.
    » Sind Sie fashionabel?« Sie öffnet wieder die Lippen und lässt die Zähne blitzen. Wenn das ein Lächeln sein soll, wirkt es nicht wie eines.
    »Ich glaube nicht.«
    »Ich kann mich nicht an Ihr Gesicht erinnern. Auch an Ihre Stimme nicht. An diese Stimme würde ich mich bestimmt erinnern. Bei diesem Akzent. Ich glaube nicht, dass wir uns schon einmal begegnet sind. Nicht in diesem Leben, wie man so sagt.«
    »Es war eine sehr kurze Begegnung.« Ich bin fast geneigt, sie daran zu erinnern, dass sie damals betrunken war. Sie tut so, als interessierte sie das heutige Treffen nicht, doch ihre zur Schau getragene Langeweile wirkt gezwungen.
    »Sie müssen wissen, dass ich dem Vorhaben nur unter Zwang zugestimmt habe. Ich bin eine sehr alte Frau, das heißt aber nicht, dass ich in Bälde abzutreten gedenke. Sie könnten zum Beispiel durchaus vor mir sterben, und keiner reißt sich darum, Ihre Biografie zu schreiben. Sie könnten heute Nachmittag bei einem Verkehrsunfall ums Leben kommen. Auf der Straße überfahren werden. Im Auto entführt.«
    »Ich bin nicht wichtig.«
    »So ist es.« Da ist die Andeutung eines süffisanten Lächelns in einem Mundwinkel. »Ich habe Ihre Artikel gelesen und glaube nicht, dass Sie ein Dummkopf sind. Trotzdem halte ich von dem Ganzen hier nicht viel.« Sie fixiert mich und schüttelt den Kopf. Sie hat die Hände in die Hüften gestützt und wirkt etwas schwerfällig, wenigstens schwerfälliger als in meiner Erinnerung. »Ich hätte meinen Biografen selbst ausgesucht, aber ich kenne keinen, der sich der Aufgabe stellen würde. Ich bin ein Albtraum.« Ein Hauch von der Mädchenhaftigkeit, die ich in Amsterdam erlebt habe, ist vorhanden, es kommt Flirten nahe, ist es aber nicht ganz. Als hoffte sie, dass ein Mann sie attraktiv findet, einfach weil er ein Mann ist, und ich muss zugeben, dass sie immer noch eine gewisse Schönheit hat.
    »Ich bin sicher, dass viele die Chance nur zu gern nutzen würden«, sage ich und sie macht einen überraschten Eindruck. Sie glaubt, ich flirte zurück und ihr Lächeln wirkt jetzt fast echt.
    »Keiner, den ich akzeptieren würde.« Sie schüttelt den Kopf, eine tadelnde Lehrerin, und starrt mich von oben herab an. Ich mag groß sein, doch sie ist noch größer, eine Riesin. »Ich würde sie ja selbst schreiben, doch ich glaube, das wäre Zeitverschwendung. Ich habe nie über mein Leben geschrieben. Ich halte nicht viel von Lebensbeschreibungen. Wen interessieren die Männer, die ich geliebt habe? Wen interessiert mein Sexleben? Warum möchten alle wissen, was ein Schriftsteller im Bett macht? Ich nehme an, Sie möchten sich setzen.«
    »Wie Sie wünschen. Ich kann stehen.«
    »Sie können nicht die ganze Zeit stehen.«
    »Ich könnte es, wenn Ihnen daran liegt«, sage ich, doch die Flirtlaune ist verflogen. Sie macht einen Schmollmund, deutet auf einen Stuhl mit gerader Rückenlehne und wartet, bis ich mich gesetzt habe. Dann wählt sie für sich einen Stuhl am anderen Ende des Zimmers, sodass wir uns anschreien müssen. Eine Katze kommt vorbei und springt ihr auf den Schoß. Sie setzt sie wieder auf den Boden.
    »Nicht meine Katze. Sie gehört meiner Assistentin. Schreiben Sie nicht, dass ich eine Katzenfreundin bin. Das bin ich nicht. Ich möchte nicht, dass die Leute glauben, ich sei eine alte Katzennärrin.«
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