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Allein in der Wildnis

Allein in der Wildnis

Titel: Allein in der Wildnis
Autoren: Gary Paulsen
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das Ufer, das Wasser am Rand war verschlammt und kleine Tierchen – Käferlarven vielleicht – flitzten hin und her. Aber da ragte ein Baumstamm hinaus in den See, wahrscheinlich irgendwann von Bibern gefällt. Er lag wie ein Steg im Wasser, gut vier Meter lang, mit verwitterten Aststümpfen. Mit den Händen nach diesen Ästen greifend balancierte Brian auf dem Stamm hinaus, vorbei an Schilfgras und schlammigem Wasser.
    Dort draußen war das Wasser klar. Auch schwammen dort keine Käfer umher. Nur einen Schluck!, dachte er, als er sich über das Wasser beugte. Nur einen kleinen Schluck.
    Als er aber das kalte Wasser in der gewölbten Hand zum Mund führte, als das köstliche Nass über seine rissigen Lippen, über seine geschwollene Zunge floss, konnte er nicht mehr aufhören. Niemals – nicht auf den längsten Fahrradtouren im heißesten Sommer – hatte er solchen Durst gespürt. Das Wasser war mehr als Wasser für ihn. Es war Leben und Brian konnte nicht aufhören zu trinken. Er bückte sich und tauchte sein Gesicht ins Wasser und trank, trank in langen, gierigen Zügen. Er trank, bis sein Bauch schier zu platzen schien, bis er – von dem glucksenden Gewicht in seinem Magen gezogen – beinahe das Gleichgewicht verlor und vom Baumstamm stürzte. Dann erst richtete er sich auf und stolperte unsicher zum Ufer zurück.
    Wo er sich gleich übergeben musste: In breitem Strahl erbrach er den größten Teil des Wassers. Aber der Durst war verschwunden. Auch die Kopfschmerzen ließen nach, obwohl der Sonnenbrand in seinem Gesicht noch immer juckte.
    »Also«, sagte Brian mit heiserer Stimme – und erschrak über den Laut in der Stille. Er versuchte es noch einmal: »Also. Da bin ich also.«
    Aber wo war er eigentlich? In welcher Wildnis war er gelandet? Zum ersten Mal seit dem Flugzeugabsturz begann sein Gehirn wieder zu arbeiten – und seine Gedanken überschlugen sich: Wo bin ich? Was mache ich hier?
    Verwirrt schaute Brian sich um. Er schleppte sich wieder die Böschung hinauf zu dem Baum, wo er geschlafen hatte, und lehnte sich mit dem Rücken gegen die raue Borke. Es war heiß, denn die Sonne stand noch immer hoch am Himmel, und dort im Schatten des Wipfels ließ es sich aushalten. Brian versuchte seine Gedanken zu ordnen.
    Da bin ich also – gelandet im Nirgendwo. Es war eine bittere Erkenntnis. Wie ein Albtraum stürmten die Bilder der letzten Tage auf ihn ein und er duckte sich schaudernd. Es war zu viel. Es war ein Chaos, das keinen Sinn ergab. Aber er kämpfte die Angst nieder und versuchte logisch zu denken: immer der Reihe nach.
    Er war nach Norden geflogen; er wollte in die arktische Wildnis Kanadas, um in den Sommerferien seinen Vater dort zu besuchen. Der Pilot hatte einen Herzinfarkt erlitten und war gestorben. Das Flugzeug war irgendwo in den Wäldern abgestürzt. Aber Brian wusste nicht, wie lange – oder in welche Richtung – sie geflogen waren. Er wusste nicht, wo er sich befand …
    Immer langsam, dachte er. Immer eins nach dem anderen.
    Ich bin Brian Robeson, dreizehn Jahre alt. Ich bin allein in der Wildnis, irgendwo in Kanada. Na schön!, dachte er. So einfach ist das. Ich wollte meinen Vater besuchen. Aber das Flugzeug stürzte ab und versank im See.
    Gut so!, dachte Brian. Immer nur kurze, einfache Gedanken. Und immer der Reihe nach.
    Ich weiß nicht, wo ich mich befinde. Doch was bedeutet das? Genauer gesagt – die anderen wissen nicht, wo ich mich befinde. Wer aber waren die anderen? Na, die Retter – so überlegte er –, die mich vielleicht suchen werden. Ein Suchtrupp!
    Man würde nach ihm suchen, nach dem Flugzeug suchen. Seine Eltern würden verzweifelt sein vor Angst und Sorge. Sie würden die Welt auf den Kopf stellen, um ihn zu finden. Im Fernsehen hatte Brian die Nachrichten von solchen Suchaktionen gesehen. Wenn ein Flugzeug irgendwo abstürzte, begann eine hektische Suche und fast immer wurde das vermisste Wrack nach ein paar Tagen gefunden. Die Piloten meldeten ihre Flugpläne – den genauen Kurs, mit Angaben über Zeitpunkt, Dauer und Ziel der Reise. Die Retter würden kommen und ihn finden. Ja, Suchtrupps im Auftrag der Regierung würden die Route abfliegen, die der Pilot zuletzt gemeldet hatte, und würden ihn schließlich finden.
    Vielleicht heute noch. Vielleicht kamen sie noch heute. Dies war der zweite Tag seit dem Absturz. Oder nein? Brian runzelte die Stirn. War es der erste oder der zweite Tag? Es war Nachmittag, als das Flugzeug abstürzte, und dann hatte er
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