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Allein auf Wolke Sieben

Allein auf Wolke Sieben

Titel: Allein auf Wolke Sieben
Autoren: Voosen Jana
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weinen. Obwohl mir die Trauer die Luft abschnürt und den Magen zusammenkrampft, bleiben meine Augen trocken.
     
    So liege ich nur da und warte. Ich weiß nicht, wie lange, vielleicht vier Wochen, vielleicht auch vier Monate. Zeit ist ein relativer Begriff, wenn man die Ewigkeit hat. Und wenn irdische Dinge wie Hunger, Durst oder Pipimachen einen nicht mehr betreffen. Ab und zu klopft es an meiner Tür, und eines Tages antworte ich mit einem schwachen: »Wer ist da?«
    »Darf ich reinkommen?«, erschallt es von der anderen Seite.
    »Von mir aus.« Sekunden später steht ein junger Mann mit zerzaustem blondem Haarschopf, bekleidet mit einem schlichten T-Shirt und einer braunen Leinenhose, vor mir und sieht aus seinen hellen Augen auf mich herunter.
    »Guten Tag«, sagt er lächelnd, »ich bin Thomas und wohne nebenan.«
    »Hallo«, gebe ich zögernd zurück, ohne meine Position zu verändern.

    »Wollte mich mal vorstellen und ein kleines Willkommensgeschenk vorbeibringen«, fährt er fort und streckt mir seine Hand entgegen, die er bisher hinter dem Rücken verborgen hatte. Geblendet schließe ich die Augen vor dem hellen Licht. »Mir ist aufgefallen, dass es bei dir Tag und Nacht dunkel im Haus ist. Also habe ich dir gestern Nacht diesen Stern gepflückt. Als Beleuchtung.« Verständnislos blinzele ich zu ihm hoch, während er sich neugierig umsieht: »Aber wie ich sehe, fehlt hier noch einiges mehr als bloß die Lampen«, kommentiert er mein karges Zuhause. »Ist das alles?« Er wirft einen schiefen Blick auf das wackelige Tischchen im Eingangsbereich. Ich zucke mit den Achseln und er geht neben mir in die Knie. »Du bist jetzt schon fast ein halbes Jahr hier oben«, sagt er.
    »Wirklich?« Ich bin zugegebenermaßen etwas erschrocken. Sechs Monate lang liege ich schon auf dem Boden?
    »Wirklich! Was hältst du davon, aufzustehen?«, schlägt er mir vor und ich sehe zweifelnd zu ihm hoch. Aufmunternd nickt er mir zu. Nun ja, vielleicht hat er Recht. Vielleicht sollte ich aufstehen. Kann ja schließlich nicht ewig hier herumliegen. Mühsam rapple ich mich in eine sitzende Position auf und wundere mich darüber, dass mir nicht ein einziger Knochen wehtut. Mein Herz, ja, das schmerzt immer noch, aber an meinem Körper scheint die Zeit spurlos vorbeigegangen zu sein.
    »Du hast keinen Körper«, erklärt Thomas mir sanft und ich sehe ihn entsetzt an.
    »Aber …«
    »Jedenfalls keinen aus Fleisch und Blut. Sondern einen aus Energie.« Ich sehe an mir herunter und kann keinen
Unterschied feststellen. Gedankenverloren starre ich auf meine Oberschenkel und merke plötzlich, dass ich noch immer den rosafarbenen Snoopy-Schlafanzug trage, in dem ich gestorben bin. Auch wenn es mir eigentlich gleichgültig ist, schäme ich mich ein bisschen für die ausgeleierten Shorts und wünschte, ich hätte etwas anderes an. Im nächsten Augenblick spüre ich eine Veränderung, etwas legt sich um mich herum und ich sehe einen verwirrten Ausdruck in den Augen meines Gegenübers. »Was?«, frage ich verwirrt, während meine Hand über etwas Seidiges, Weiches streicht. Eine Erinnerung steigt in mir auf und ahnungsvoll senke ich erneut meinen Blick.
    »Das ist ein sehr schönes Kleid«, höre ich Thomas sagen, während ich fassungslos auf die bauschenden Röcke meines Brautkleides sehe. Wie ist denn das passiert? Wo kommt das Kleid so plötzlich her? Und wo ist mein Snoopy-Schlafanzug? Das alles ist zu viel für mich.
    »Ich glaube, ich muss mich wieder hinlegen«, sage ich tonlos und tue genau das.
    »Das ist wohl dein Hochzeitskleid?«
    »Erraten!« So ein Schlauberger.
    »Wolltest du nicht aufstehen?« Ich schüttele den Kopf.
    »Ich bin noch nicht so weit«, antworte ich und versuche, eine etwas bequemere Lage einzunehmen. Gar nicht so einfach, die Stäbchen der Korsage stechen unangenehm in meine Achselhöhle. Na ja, dieses Kleid war ja ursprünglich auch nicht dafür gemacht, darin auf dem Boden herumzuliegen. Im selben Moment hört das Pieksen auf und ich atme erleichtert aus.
    »Entschuldige, äh …«, sagt Thomas.
    »Lena«, sage ich mit geschlossenen Augen. »Lena Kaefert.«

    »Lena, nicht dass ich etwas dagegen hätte, aber jetzt bist du nackt.« Ich öffne das linke Auge gerade so weit, dass ich einen Blick auf meine Brust werfen kann, und schließe es dann wieder. Er hat Recht. So plötzlich, wie das Kleid gekommen ist, ist es auch wieder verschwunden. Na und? Dann liege ich eben hier auf dem Boden meiner neuen Wohnung in der
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