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Allein auf Wolke Sieben

Allein auf Wolke Sieben

Titel: Allein auf Wolke Sieben
Autoren: Voosen Jana
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nieder.
    »Entschuldige«, sage ich hastig, »du hast sicher nicht den ganzen Tag Zeit.« Damit falte ich den Brief sorgfältig zusammen und stecke ihn in einen Umschlag. »Tut mir leid, wenn ich dich aufgehalten habe, aber dies hier
wird wohl mein letzter Brief an Gott sein und deshalb ist er etwas länger geworden.« Fragend guckt sie mich von unten herauf an und ich nicke bestätigend. »Es ist an der Zeit, nach vorne zu schauen«, sage ich und reiche ihr den Brief, den sie zwischen den Schnabel nimmt. »Dann guten Flug«, wünsche ich ihr, während sie sich mit einem kräftigen Flügelschlag in die Lüfte hebt und durch das Fenster davonfliegt. »Mach’s gut«, rufe ich ihr noch leise und ein wenig wehmütig hinterher, während sie kleiner und kleiner wird. Nun werde ich sie wohl so schnell nicht wiedersehen.
    »Fertig?«, erklingt da Thomas’ Stimme und ich mache vor Überraschung einen kleinen Hüpfer.
    »Puh, hast du mich erschreckt«, ächze ich und er zuckt bedauernd die Schultern.
    »Das war bestimmt nicht meine Absicht«, beteuert er. »Wollen wir dann?« Ich nicke.
     
    Gemeinsam schlendern wir zu unserer Firma, die eine gute Viertelstunde Fußweg entfernt in der Himmelsstraße 17 liegt.
    »Fühlen sich die Sonnenstrahlen nicht herrlich an?«, meint Thomas begeistert und ich nicke mechanisch. »Und das Gefühl der Wolken an den Füßen, einfach phänomenal«, schwärmt er weiter. Ich richte meinen Blick nach unten und bemerke das erste Mal, seit ich hier oben bin, dass er Recht hat. Fasziniert spüre ich die samtweiche, leicht unregelmäßige Oberfläche des Bodens. Ist es nicht vollkommen absurd, dass hier oben keinerlei Körperlichkeit zwischen den Seelen möglich ist, gleichzeitig aber ein solches Einssein mit der Natur? Das ist doch verrückt! Verwirrt bleibe ich stehen, um
die Erfahrung noch deutlicher wahrnehmen zu können. Und dann nehme ich auch die Wärme der Sonne wahr, die mich einhüllt wie ein flauschiger Bademantel, der auf der Heizung gelegen hat. Nein, noch besser, wie eine warme Umarmung. Ein Gefühl von Geborgenheit überschwemmt mich, und mit ihr die Erinnerung an den ersten Morgen, an dem ich neben Michael aufgewacht bin. »Schön, nicht wahr?«, reißt mich Thomas aus meinen Gedanken und ich hole schnell zu ihm auf.
    »Ja«, sage ich knapp, »komm, wir müssen uns beeilen.«
     
    Bald darauf stehen wir vor dem hohen, silbernen Firmengebäude der »Soulflow«. Lautlos öffnen sich die gläsernen Schiebetüren, um uns einzulassen. In der gro ßen Empfangshalle herrscht reger Betrieb, vor den sieben Schreibtischen am hinteren Ende, von denen nur fünf besetzt sind, haben sich meterlange Warteschlangen gebildet.
    »Hab einen schönen Tag, ja?«, wünscht Thomas mir noch und eilt dann zu dem leeren Tisch ganz links. »Hier bitte auch anstellen, kommen Sie gerne auch zu mir«, lädt er dabei die Anstehenden ein. Innerhalb von Sekunden haben sich fünfzehn eifrige Helfer vor mir aufgereiht, aber das ist mir eigentlich auch ganz lieb.
    »Hey, Lena, guten Morgen«, höre ich eine vertraute Stimme sagen und sehe mich nach der zarten, rothaarigen Kollegin um, die hinter mich getreten ist.
    »Hallo, Nina«, lächele ich zurück, aber ihrem durchdringenden Blick aus klaren grünen Augen entgeht mal wieder nichts.
    »Dir geht es wohl nicht gut?«, stellt sie fest und ich schüttele den Kopf.

    »Nein, nicht besonders«, gebe ich zu, weil ich weiß, dass Lügen zwecklos ist. Schließlich kann man hier oben meine Gemütslage jederzeit an der Farbe meiner Aura ablesen.
    »Noch immer keine Antwort vom Boss, was?«, erkundigt sie sich mitfühlend.
    »Nein, aber ich habe mich damit abgefunden«, antworte ich. »Heute habe ich den letzten Brief an ihn geschrieben, sozusagen, um das Ganze abzuschließen, weißt du. Ich fange ein neues Leben an.«
    »Wirklich?«, fragt sie aufgeregt. »Hast du dir schon überlegt, wo? Ich denke auch darüber nach, vielleicht könnten wir nach Dienstschluss zusammen zur ›Reincarnation GmbH & Co. KG‹ gehen und uns eine Broschüre holen.«
    »Äh, nein, nicht so ein neues Leben«, wehre ich ab, »jedenfalls noch nicht.« Die Terminologie hier oben kann wirklich eine Menge Verwirrung stiften. »Ich meinte erst mal hier im Himmel. Vielleicht kann es ja ganz schön sein, wenn man nicht die ganze Zeit der Vergangenheit hinterhertrauert.«
    »Vielleicht?«, echot sie überrascht. »Aber es ist doch großartig hier.«
    »Na ja.« Ein wenig verlegen zucke ich mit den
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