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Alice@Hollywood

Alice@Hollywood

Titel: Alice@Hollywood
Autoren: Ralf Bunzel , Andreas Gaw
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alles Mögliche gut vorbereitet zu sein, und in der festen Überzeugung, im entscheidenden Moment alle Antworten zu vergessen. Mündliche Prüfungen haben mir noch nie gelegen. Ich sei eher der Klausurentyp, hat mein Geschichtslehrer immer gesagt.
    »Bonaparte, Alice. Er hieß Napoleon Bonaparte. Nicht Bona Notte! Das war wohl nichts. Vielleicht kannst du die Fünf ja mit der Klassenarbeit ausgleichen .«
    Bei schriftlichen Arbeiten ist das eben einfacher. Man steht nicht unter dem Druck, auf der Stelle etwas Schlaues sagen zu müssen. Am liebsten waren mir die richtig langen Klausuren. Vier Stunden Klassenarbeit. Ein Traum. In den ersten drei Stunden konnte ich in Ruhe überlegen, mir Notizen machen, ein Konzept ausarbeiten und mit meinen Adleraugen Inspirationen an den Nachbartischen sammeln. Da ich Schnellschreiberin war, gelang es mir dann immer, in der verbleibenden Stunde alles flugs auf die Zettel zu schmieren. Punktabzug gab es zwar regelmäßig wegen meiner unleserlichen Schrift, aber der Inhalt war brillant. Am liebsten wäre es mir, wenn Steve mir heute Nachmittag kurz den Grund dafür schildert, warum er nach Los Angeles gezogen ist, ohne sich bei mir zu melden. Und dann stellt er mir zu diesem Thema drei Fragen, die ich bis zum Sonnenuntergang schriftlich beantworten kann. Es wäre echt klasse, wenn man im Leben immer die Zeit hätte, seine Sätze ausführlich vorzuformulieren. Man hätte immer die entsprechende passende, witzige oder intelligente Antwort. Zwar Stunden später, aber immerhin.
    Mir ist immer noch schlecht. Das Date rückt näher und näher. Nicht einmal die Klamottenfrage habe ich bisher geklärt. Es sind an die 30 Grad in der City. Der dicke Norwegerpulli fällt also flach. Aber sonst ist noch alles offen. In dem geblümten Sommerkleid sehe ich aus wie ein kleines Mädchen. Viel zu naiv. Fehlen nur noch die Söckchen mit den Rüschen und die Lackschuhe, dann kann ich »Alice im Wunderland« spielen. Nein. Ich brauche etwas, in dem ich selbstbewusst aussehe.
    Steve soll von Anfang an klar sein, dass ich alles unter Kontrolle habe. Geblümte Sommerkleider taugen dazu überhaupt nicht. In meinem knöchellangen Wickelrock komme ich mir vor wie die Aufsicht in der örtlichen Bibliothek. Kombiniert mit streng zurückgekämmten Haaren und einer dickrahmigen Brille würde ich dominahafte Autorität ausstrahlen. Mit einer kleinen Lederpeitsche als Accessoire könnte ich glatt ein paar Dollar dazuverdienen. Ich betrachte mich im Spiegel. No way. Wenn Steve mich so sieht, lässt er sich auf der Stelle sterilisieren. Viel Auswahl habe ich nicht mehr. Meinen Kleiderschrank mit der Sommergarderobe durfte ich nicht mit ins Flugzeug nehmen. Genau genommen habe ich außer einer Leinenhose mit Stracciatella-Fleck nur noch meine Jeans. Ein Schuhanzieher erleichtert mir den Einstieg. Meine Güte. Ich hab wohl in den letzten Wochen, trotz des ganzen Stresses, ein paar Kilo zugelegt. Komisch. Ich dachte, in der Amica stand mal was von einer Pommes- und Hamburgerdiät. Wenn das der Fall war, sollte ich umgehend einen Leserbrief schreiben. Mein Po ist riesig in der Jeans. Kleine Speckröllchen quellen über den Bund. Mein Planet-Hollywood-T-Shirt hat Mühe, die XXL-Menüs von McDonald's sauber zu kaschieren. Aber was soll's. Soll Steve ruhig sehen, dass ich zugenommen habe. Wenn er mich liebt, liebt er mich so, wie ich bin. Im Leben kommt es nun mal nicht auf die Äußerlichkeiten an. Ich würde Steve auch lieben, wenn er fünfzig Kilo mehr auf den Rippen hätte. Na ja ... zwanzig. Oder sagen wir zehn. Zehn Kilo mehr und zehn Zentimeter größer. Dann würde ich ihn genauso lieben wie vorher. Die Erdanziehungskraft zieht mich aufs Bett. Liebe ich ihn eigentlich noch so wie vorher?
    »Alice! Wir müssen los !« Ruth klopft an die Tür.
    »Sekunde«, gebe ich zurück. Die Muster der Tapete vor mir verschwimmen. Hoffentlich werde ich ohnmächtig. Aber langsam zeichnen sich die Konturen des Zimmers vor meinen Augen wieder scharf ab. Mühsam stehe ich auf. Da fällt mein Blick auf die Bluse, die Monica mir geschenkt hat. Natürlich. Warum bin ich nicht gleich darauf gekommen. Erlösung suchend  schlüpfe ich in den Stoff und fühle mich tatsächlich gleich eine gute Portion besser. Alles im Leben hat seinen Sinn.
    Ein Taxi bringt uns zum verabredeten Treffpunkt. Das Chinese Theatre, vor dem die Hollywoodstars ihre Hand-und Fußabdrücke im Beton verewigt haben. Es ist noch eine halbe Stunde Zeit. Ruth stellt fest,
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