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Alice@Hollywood

Alice@Hollywood

Titel: Alice@Hollywood
Autoren: Ralf Bunzel , Andreas Gaw
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    Davon wird Ruth wach. »Ich glaube, ich muss mich übergeben«, gurgelt es aus ihrem Mund. Sie will aufspringen, doch der Gurt hält sie im Sitz. Panisch fängt Ruth an, um sich zu schlagen. Tracy macht auf dem Absatz kehrt und befreit meine Freundin mit fachfraulichem Griff aus der Zwangsjacke. Wie ein Springteufel schießt Ruth aus den Polstern und will die Stewardess zur Seite drängen, um die rettende Bordtoilette zu erreichen. Unglücklicherweise bleibt ihre altrosafarbene Häkelstola am Kopfhörer hängen, der sich an der Armlehne verwickelt hat. Ruth zerrt und reißt an der Wolle, als ginge es um ihr Leben. Tracy beugt sich nach vorn, um den Stecker des Kopfhörers zu ziehen. Sie will die Maschen und damit Ruth frei geben, aber da ist es auch schon zu spät.
    There is no better way to fly. Unsere Flugbegleiterin kann nicht mehr ausweichen.
    Eine Stunde später steht sie schon wieder frisch gewaschen und frisiert am Ausgang, als wir den Flieger am JFK-Airport verlassen. Sie bedankt sich sogar dafür, dass wir mit United geflogen sind. Und freut sich, uns bald wieder an Bord begrüßen zu dürfen. Sie lügt, ohne rot zu werden. Wahrscheinlich ein Teil ihrer Ausbildung. Sicher hat Tracy einen Lover, irgendwo in Manhattan, bei dem sie sich heute Nacht ausheult. Oder ihren ganzen Frust dominant in seinem Bettchen austobt. Der arme Kerl.
    Ruth traut sich nicht, den Kopf zu heben, als wir die Maschine verlassen, so peinlich ist ihr der Zwischenfall. Ihr Blick ist immer noch gesenkt, als wir die Einreisehalle betreten. Sonst hätte sie nämlich das Schild »Exit« entdeckt, das an einer kaputten Kette in Kopfhöhe baumelt. Dong! Das gibt ein Riesenhorn. Nina kichert, als Ruth sich an meiner Bluse festklammert und geschlagen in die Knie geht. Einmal mehr halten wir den gesamten Verkehr auf.
    Allmählich überlege ich, ob es wirklich so eine gute Idee war, die beiden Chaotinnen mit in die Staaten zu nehmen. Aber jetzt ist es zu spät.
    »Hilf mal !« , fauche ich Nina an, die sofort beleidigt guckt.
    Schließlich gelingt es uns, Ruth mit vereinten Kräften in den nächsten Wartebereich zu zerren. Auf einer Dreierkombination harter, dunkelroter Plastikstühle legen wir sie ab. Das Neonlicht flackert, und über Lautsprecher tönt so was wie: »The yellow zone is for loading and unloading only !«
    So nach und nach realisiere ich, dass wir wirklich in Amerika angekommen sind.
    Mein Herz schlägt schneller. Ich bin zum ersten Mal in New York und freue mich darauf, durch die Schluchten zwischen den Wolkenkratzern zu pilgern. Der Dampf, der aus den U-Bahn-Schächten aufsteigt, die gelben Taxis überall, die Straßenräuber. Das alles kenne ich nur aus dem Kino, und bald bin ich die Hauptdarstellerin in meinem eigenen Film: »Alice und Steve in Manhattan !« Ich kann es kaum erwarten, den Mann wieder zu sehen, mit dem ich den schönsten und schmerzvollsten Sex meines Lebens hatte.
    »Sind wir schon da ?«
    Ruth berappelt sich. Wir quälen uns in einer nicht enden wollenden Schlange langsam in Richtung Passkontrolle. Seit bei der Einreise Fingerabdrücke von allen Touristen genommen werden, zieht sich die Prozedur unerträglich lang hin. Ich bin froh, dass ich kein Mann bin, sonst müsste ich mich mindestens dreimal rasieren, bis wir endlich am Schalter angekommen sind.
    »Stopp !« , ruft eine schwarze Frau Mitte fünfzig in weißem Hemd mit diversen Abzeichen auf der Brust, eine Art Fünf-Sterne-General der Einwanderungsbehörde. Sie tritt mir fast auf die Füße. Dann deutet die Frau nach unten und will mich wohl darauf aufmerksam machen, dass die Spitze meines linken Reebok-Sneakers eine gelbe, durchgezogene Linie übertreten hat. Ich zucke zurück und entschuldige mich unterwürfig. Möglicherweise habe ich gerade im nicht übertragenen Sinne eine Grenze übertreten. Wenigstens in einem amerikanischen Sportschuh. Vielleicht gibt das mildernde Umstände. Die Amerikaner sollen ja bei Ausländern schon das kleinste Fehlverhalten mit Ausweisung bestrafen. Und wer im Flughafenbereich raucht, kommt direkt nach Guantanamo Bay. Ich sehe mich um und entdecke zu allem Überfluss auch noch ein gutes Dutzend Überwachungskameras, die mich und alle anderen Lemminge gnadenlos aufnehmen. Es wird also einen Videobeweis geben, und ich werde mich nicht herausreden können.
    »Ihr Schuh ist offen .«
    Die Lady lacht mich freundlich an und geht weiter. Ein Trick? Ich schaue ihr nach. Wahrscheinlich wird sie sich gleich umdrehen, mich mit
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