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Alice@Hollywood

Alice@Hollywood

Titel: Alice@Hollywood
Autoren: Ralf Bunzel , Andreas Gaw
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vor ihrer Abreise mit auf den Weg gegeben. Hausnummer siebenhundertsiebenundsiebzig am Central Park. Auf der Ostseite. Wir hatten uns damals noch darüber lustig gemacht. Das Taxi wendet und braust wieder zurück. Ärgerlich, dass uns der Spruch nicht schon viel früher eingefallen ist. Vielleicht sollten wir unseren Alkoholkonsum in Zukunft wirklich ernsthaft überdenken.
    Eine weitere halbe Stunde später sind wir noch einmal um dreißig Dollar ärmer, aber stehen vor einem Apartmenthaus mit der Nummer 777 und dem Namen »H. J. Essen« am Türschild.
    Endlich. Was ich jetzt nur noch will, ist schlafen! Und vorher nochmal auf die Toilette. Heute habe ich eine Blase wie ein Kindergartenmädchen aus der Hasengruppe. Nina ergreift die Initiative und drückt beherzt den Klingelknopf. Nichts geschieht. Ein zweiter und dritter Versuch, ebenfalls nicht von Erfolg gekrönt. Bei allem, was wir seit unserer Ankunft im Big Apple erlebt haben, konnten wir uns immer noch ein wenig Humor bewahren, so fern man hysterisches Gekicher als Humor bezeichnen kann. Aber nun schlägt unsere Stimmung um. Eine Ader knapp oberhalb von Ruths linker Augenbraue tritt mahnend hervor. Das ist kein gutes Zeichen. Ein langgezogenes »Jennnnyyyyyy« ist noch zu hören, bevor sie wie ein schwuler Schwergewichtsboxer auf die Klingelpaneele des Apartmenthauses eindrischt. Der Erfolg gibt ihrem Tun recht . Irgendjemand betätigt die Wechselsprechanlage und gibt uns die Chance, unsere nächtliche Ruhestörung zu erklären. Nach ein paar Minuten öffnet uns ein gut aussehender Mann im Alter zwischen zwanzig und fünfzig die Tür. Selbstverständlich weiß er, wo Jenny wohnt, und kennt erstaunlicherweise auch ihr Muttermal unterhalb .der rechten Pobacke.
    Mit den Worten »Könnte mir vorstellen, dass Jenny nicht gestört werden will« lässt er uns vor der Wohnung des Hajo Essen stehen.
    Ich klopfe. Eine Ewigkeit später öffnet eine verschlafene Jenny die Tür. Sie ist mit nichts weiter bekleidet als zwei Frottewaschlappen, mit denen sie sich mehr schlecht als recht bedeckt. Noch bevor wir etwas sagen können, legt Jenny die Zeigefinger auf ihre Lippen.
    »Im Moment ist es schlecht !« , flüstert sie. »Guiseppe schläft, und es wäre echt blöd, wenn wir ihn aufwecken würden .«
    »Sag mal, hast du sie noch alle ?« , poltert Ruth los. »Ich will jetzt da rein, und es ist mir scheißegal, ob dein Pizzabäcker aufwacht oder nicht .«
    Jenny schüttelt nachdrücklich den Kopf.
    »Guiseppe ist kein Pizzabäcker. Er ist Feuerwehrmann. In New York sind das Helden. Und die brauchen ihren Schlaf .«
    Jenny erklärt uns, dass nur zwei Blocks weiter ein kleines
    Hotel sei, und schlägt vor, dass wir uns dort später zum Frühstück treffen.
    Alle möglichen Erwiderungen in Richtung »Unverschämtheit« und »Was bist du denn für eine Freundin« entfallen mir, als Jenny mir beim Schließen der Tür fast den Fuß bricht. Man sollte seinen Fuß eben nur in eine Tür stellen, wenn man Springerstiefel mit Stahlkappe trägt. Leinenturnschuhe sind für solche Aktionen denkbar ungeeignet.
    Aber im Moment gibt es für mich etwas Schlimmeres als die Tatsache, dass wir nun doch wieder in die Nacht hinausmüssen:
    »Irgendwo hier muss es eine Toilette geben«, sage ich, »das ist in solchen Gebäuden immer so, das weiß ich aus dem Fernsehen !«
    Ohne eine Reaktion meiner Freundinnen abzuwarten, marschiere ich den Gang hinunter und um die nächste Ecke. Überall nur durchnummerierte Apartments, von einem stillen Örtchen nichts zu sehen. Hinter der nächsten Kurve ist der Gang zu Ende. Sackgasse. Großartig. Da fällt mein Blick auf eine schwere Messingvase mit leicht angestaubten Strohblumen, die am Ende des Flures versucht, mit den Brokatvorhängen zu harmonieren. Das könnte die Rettung sein. Ich will gerade die Hose herunterlassen, da setzt ein ohrenbetäubender Lärm ein. Eine Sirene heult los, sie lässt das gesamte Gebäude erbeben. Feuer. Auch das noch. Schon öffnet sich die angrenzende Wohnungstür. Ein in Ehren ergrauter Kriegsveteran mit Barett stolpert auf Krücken in den Flur hinaus. Verlegen halte ich meine Hose fest und kauere mich in eine Ecke.
    »Fire, fire !« , ruft er. Dann wird der Mann von seiner Panik abgelenkt: Er sieht mich in meiner misslichen Lage. Ich grinse ihn möglichst geistesgestört wirkend an. Dann watschele ich wie ein bekiffte Ente an ihm vorbei den Gang herunter. Als ich um die Ecke biege, ist bereits das halbe Building in Aufruhr.
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