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Alice@Hollywood

Alice@Hollywood

Titel: Alice@Hollywood
Autoren: Ralf Bunzel , Andreas Gaw
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Cowboyoutfit tanzen um den Stern von John Wayne. Blumen liegen neben dem Stern von James Dean. Zwei Mädels, kaum älter als fünfzehn, weinen um eine verstorbene Ikone, die ihr Großvater hätte sein können.
    Ein paar Straßen weiter steuern wir auf ein kleines unscheinbares Theater zu. Es macht den Eindruck, als würde die Backsteinfassade lediglich von einem Dutzend Lagen verwaschener grüner Lackfarbe zusammengehalten. Der Schriftzug aus größtenteils defekten Glühbirnen über dem Eingang verrät mir den Namen »The Green Stage«.
    »Das ist ein freies Theater«, erklärt mein Begleiter, »lauter junge Schauspieler, die Klassiker als Musical nachspielen .«
    Heute gibt es DEATH OF A SALES-MANIAC.
    Raymonds Handy klingelt. Er entschuldigt sich kurz und verschwindet hinter einer großen Palme in schwerem Terrakottatopf, die den Eingang des Theaters flankiert. Einen Augenblick später kommt er zurück.
    »Steve hat angerufen. Wir treffen ihn nach Ende der Vorstellung hier im Foyer !«
    Ich will noch nachhaken, doch Raymond hat eine Frau mittleren Alters erspäht, die er offenbar kennt. Es ist Rita. Sie nimmt mich fest in den Arm, als wären wir nach der Geburt getrennte Zwillinge, die sich 30 Jahre später endlich wieder sehen. Zusammen betreten wir das Theater. Eine bunte Schar Zuschauer fast jeden Alters und jeder Hautfarbe wartet im Foyer auf Einlass. Ein Glöckchen erklingt. Zwei schwere Eisentüren öffnen sich. Sie geben den Weg in den Saal frei. Raymond hat für uns zwei Plätze in der Mitte reserviert.
    »Besser als ganz vorn. Mitunter wird das Publikum in die Vorstellung einbezogen. Da können dann die ersten paar Reihen locker mal nass werden .«
    Wir setzen uns auf alte Kinosessel, aus deren blausamtenem Bezug an den Nähten der Schaumstoff hervorquillt. Im Saal befinden sich etwa achtzig Besucher, zähle ich, als das Licht ausgeht. Ein Spot erhellt einen kreisrunden Ausschnitt des maroden Samtvorhangs an der Bühne. Ins Rampenlicht tritt eine Art Liza-Minelli-Verschnitt mit Zylinder und Spazierstock.
    »Welcome, Bienvenu, Willkommen ... to: The death of a Sales-Maniac!«
    Die Show beginnt. Der Handlungsreisende stolpert auf die Bühne. Aus seinem großen Lederkoffer holt er eine Federboa hervor. Die Musik setzt ein, und er klagt singender- und tanzenderweise das Leid, das ein Leben als Vertreter so mit sich bringt. Dies ist im Grunde auch schon alles, was an das Original von »Tod eines Handlungsreisenden« erinnert. Danach erfahren wir, dass der einsame Vertreter viel lieber Showgirl geworden wäre. Den Rest der Inszenierung stellt seine Traumphantasie dar. Er schließt sich einer Gruppe von Transvestiten an, die die folgenden eineinhalb Stunden über die Bühne hüpfen und ihre bestrapsten Beine, ihre Federkronen und Paillettenkorsagen zur Schau stellen. Dabei ziehen sie das eine oder andere Kaninchen aus ihren rosa Zylindern und verteilen Kokosnusslikör im Publikum mit der Bemerkung: »Willkommen im Club der Spermatrinker !« Eine total schräge Revue aus Musical, Magie-Show und Kabarett.
    Zunächst stehe ich dem Treiben ziemlich skeptisch gegenüber, aber die gute Laune, die von der Bühne ausgeht, steckt mich an. Als dann noch ein Mann, der auf Vampirlady geschminkt ist, aus einem überdimensionalen Überraschungsei springt und »Muss I denn zum Städtele hinaus ...« singt, kullern mir vor Lachen die Tränen. Am Ende des Stücks heiratet die Vampirlady den Handlungsreisenden, und er sieht keine Notwendigkeit mehr, sich das Leben zu nehmen. Das Publikum flippt völlig aus. Vier Vorhänge und Standing Ovations.
    Ich muss noch immer schmunzeln, als Raymond und ich eine halbe Stunde später im Foyer auf Steve warten.
    »Und? Hat dir das Stück gefallen ?«
    Ich bekomme eine Gänsehaut. Die Stimme kenne ich. Steve beugt sich vor und gibt mir einen Kuss auf die Stirn.
    »Du siehst klasse aus, Alice. Hast du abgenommen ?«
    Ich ringe nach Luft. Da kein Karamell-Konzentrat in der Nähe ist, bleibt eine schlagfertige Antwort aus. Stattdessen beginnt mein Mund unaufgefordert mit Smalltalk.
    »Ja. Ich meine, nein. Ich habe zugenommen. Ja, das Essen hier ist so lecker. Und das Musical hier war auch große Klasse. Viele bunte Federn und Kostüme. Amerika ist ganz schön ...«
    Steve legt mir den Finger auf den Mund.
    »Pssst. Nicht so viel klappern !«
    »Plappern«, verbessere ich.
    Steve lächelt mich an. Ein Lächeln, für das ich ihm sämtliche Sünden der Welt vergeben würde.
    »Alice«, sagt er
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