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African Queen

African Queen

Titel: African Queen
Autoren: Helge Timmerberg
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denselben Fehler wie Lisa machen. «In Wien gibt es viel schönere Leichen», sagt sie, und zehn Minuten später, gleich nachdem wir das Museum verlassen haben, tritt sie in eines der tausendundein Schlaglöcher von Kairos Straßen und fällt mit einem Schrei um. Der Fluch der Pharaonen hat sie ereilt. Sie kann wieder aufstehen, aber sie kann nicht mehr gehen. Auf einem Bein hüpfend und an meinem Arm schafft sie es bis zum Taxi, und das Hotel ist wirklich nicht weit, ein paar Minuten zu Fuß und ein paar weniger mit dem Wagen, aber der Fahrstuhl ist noch immer kaputt, deshalb setzt sich Lisa weinend auf die Stufen, während ich in den vierten Stock renne und Machmut den Fetten mit dem Fall vertraut mache. Er reagiert geradezu beglückt. «My profession!», ruft er, mein Beruf, und schon ist der Ex-Krankenpfleger zur Tür hinaus und auf dem Weg zu Lisa.
    «Vertraust du mir?», fragt Machmut in genau dem Tonfall und mit genau dem Blick, den ich aus US-TV-Serien kenne, die in den Notaufnahmen von Krankenhäusern spielen, und dabei nimmt er Lisas Fuß in die Hand. «Vertraust du mir?» Weil sie nicht «nein» sagt, beginnt er damit, ihren Fuß herumzubiegen. Sie stöhnt und wimmert, und ich weiß genau, was Machmut der Fette jetzt sagen wird. Und er sagt es auch: «Es ist nichts gebrochen, sonst wäre sie jetzt die Decke hochgegangen.» Er tippt auf eine starke Prellung, etwa ein Viertel des Fußes ist blau angeschwollen. Also no problem. Gemeinsam schleppen wir Lisa die Treppe rauf und legen sie ins Bett. Sie stöhnt und wimmert immer noch, und sie will einen Arzt, aber Machmut hat inzwischen alles unter Kontrolle. «Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder du vertraust mir oder nicht. Wenn du dich für die erste Möglichkeit entscheidest …»
    «Au, oh …»
    «… wenn du mir also vertraust, holen wir keinen Arzt. Sondern ich geh schnell zur Apotheke und kaufe einen Verband und Schmerztabletten und bin in zehn Minuten zurück. Okay? Einverstanden? Ich mach es, wie du es willst. Aber ich bin ein Profi, und das ist mein Rat.»
    «Vertrau ihm», sage ich.
    «Oh, ah …»
    Machmut der Fette bittet mich vor die Tür und redet jetzt mit mir wie Dr. Shepherd. «Sie ist in Panik», sagt er. «Aber ich bin genau die richtige Person für diese Situation. Wirklich. Sie können mir vertrauen. Das ist nur eine Prellung. Und geben Sie mir bitte zwanzig Dollar.»
    Zehn Minuten später ist Machmut mit Schmerztabletten und einem elastischen Verband zurück, den er Lisa professionell anlegt, allein ihm dabei zuzuschauen, schenkt Vertrauen, aber Lisa hat derweil die Pillen in Augenschein genommen und sagt:
    «Das sind keine Schmerztabletten. Das sind Antidepressiva. Sehr starke Antidepressiva.»
    Sie gibt mir die Packung. Ich kenne sie auch. Dieses Medikament wird in der westlichen Welt bei Panikattacken, chronischen Angstzuständen, Depressionen, Drogenentzügen und Schizophrenie verschrieben. Hier bekommt es jeder in jeder Apotheke ohne Rezept. Dr. Machmut der Fette übertreibt ein bisschen, finde ich.
    Den Rest des Tages bleibt Lisa im Bett, den Abend auch, nur manchmal hüpft sie ins Bad oder auf den Balkon. Am nächsten Morgen ist nicht mehr ein Viertel, sondern die Hälfte ihres Fußes blau angeschwollen, und Machmut erhöht den Verletzungsgrad auf eine Verstauchung. Der Fluch des Pharaos reduziert Lisas Kairo-Sightseeing-Radius für unbestimmte Zeit auf den Blick, den sie vom Balkon unseres Zimmers hat. Vier Stockwerke unter ihr pulsiert die Talaat Harb Street, eine der großen Geschäftsstraßen im Zentrum, und sie ist zu jeder Tageszeit und weit bis in die Abendstunden rappelvoll mit Leben. Vom vierten Stockwerk aus sieht man keine Details. Ich kauf ihr also ein Fernglas und geh mal alleine los.

24. DIE MOSCHEE
    D ie großen Momente meines Lebens brennen im Guten und im Bösen wie Feuer in der Nacht. Eine Nacht, die immer länger wird, denn sie ist meine Vergangenheit, und die Feuer erlöschen nie. Eine Erinnerung dieser Art beleuchtet den Nachmittag, an dem vor dreißig Jahren das Reisen für mich begann. Als Leidenschaft, als Beruf, als Aufgabe. Eine Initialzündung? Eine Lebensidee? Eine poetische Erleuchtung? Ich weiß nicht recht, wie man es nennen soll, und den Namen der Moschee, in der es geschah, weiß ich auch nicht. Es war irgendwo in der Altstadt von Kairo, irgendwo im Basar, irgendwo rund um den Khan el-Khalili. Aber der Basar ist groß, und es gibt dort viele Moscheen, trotzdem bin ich guter Dinge, weil ich
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