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African Queen

African Queen

Titel: African Queen
Autoren: Helge Timmerberg
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irgendwie nicht. Nein, hier war es nicht. Wir gehen auf die andere Seite. Hier auch nicht. Wir umrunden die Pyramide ein zweites Mal, aber ich finde einfach die richtige Seite nicht. Keine Stelle scheint mir für den Aufstieg geeignet. Denn das sind keine Stufen, sondern Steinblöcke von jeweils einem Meter Höhe, und weil die Pyramide hundertfünfzig Meter hoch ist, sieht das hier eher nach Klettern und Extremsport aus als nach einem spirituellen Spaziergang. Mir wird schwindlig, wenn ich bis zur Spitze hochsehe und mir vorstelle, ich gehe da rauf.
    «Darf ich fragen, was du gerade denkst?», sagt Lisa.
    «Willst du es wirklich wissen?»
    «Warum nicht?»
    «Weil es beschämend für mich ist.»
    «Noch einmal: warum nicht?»
    «Weil es vielleicht auch für dich ein bisschen beschämend ist.»
    «So schlimm?»
    «Um ehrlich zu sein, Lisa, ich weiß nicht, ob es schlimm ist. Aber es ist beeindruckend. Wie oft habe ich davon geredet, dass ich auf diese Pyramide will?»
    «Ziemlich oft. Aber nicht täglich. Einmal in der Woche, würde ich sagen, und du hast schon in Wien damit begonnen.»
    «Und, was glaubst du, warum ich so oft davon gesprochen habe?»
    «Weil du es schon mal gemacht hast und es offensichtlich ein großer Moment in deinem Leben gewesen ist.»
    «Und genau das ist der Punkt.»
    «Ach so ist das, du willst dich damit rausreden, dass man große Momente nicht wiederholen kann.»
    «Nein, das meine ich nicht.»
    «Was meinst du dann, Baby? Sag es mir, ich bin nicht zu dumm für dich.»
    Sie lacht mich mit einem Lachen an, von dem ich nicht weiß, ob es ein Auslachen ist. Es steht ihr genauso gut wie ein ernstes Gesicht. Ihr steht alles heute. Der wadenlange schwarze Rock, die weiße, züchtig zugeknöpfte Bluse, der Schatten des Strohhuts auf ihren Lippen, die Ohrringe der Tuaregs, die Massai-Halskette und der Gürtel, den sie vor meiner Zeit in Mali erstanden hat. Eigentlich ist Gürtel zu viel gesagt, eigentlich ist es nur ein Bauchband, das den Afrikanerinnen die Reizwäsche ersetzt. Sie tragen es unter der Kleidung, Lisa trägt es drüber. Und auch das steht ihr. Nicht nur, weil einer schönen Frau alles steht, sondern weil die Kombination perfekt ist. So sittsam, wie es die gastgebende Kultur verlangt, aber nicht ohne erotische Signale. Nein, sie ist nicht zu dumm für mich.
    «Um ehrlich zu sein, Lisa, sieht es so aus. Ohne die Erinnerungen an meine Erstbesteigung dieser Pyramide vor dreißig Jahren fiele es mir nicht mal im Traum ein, hier hochsteigen zu wollen. Ich käme keine Minute auf den Gedanken, ja, let’s face it, keine Sekunde. Es ist völlig absurd. Und das ist die Lektion der Stunde, um nicht zu sagen: der Schock.»
    «Dir fällt also gerade auf, was dreißig Jahre bedeuten.»
    «Ja.»
    Wie mit einem Hammerschlag wird mir an der viereinhalbtausend Jahre alten Pyramide des Cheops klar, dass auch ich alt geworden bin. Spiegel und alte Fotos bewirken nicht dasselbe, weil sie nur den äußeren Verfall dokumentieren, außerdem gibt es Menschen, denen das Alter steht. Aber niemandem steht Schwäche. Lisa tröstet mich mit dem Vorschlag, morgen das weltberühmte «Ägyptische Museum» zu besuchen, in dem wirklich alte Leute liegen. Wie weise. Mumien, zweitausend Jahre alt, dreitausend Jahre alt, dreitausendfünfhundert Jahre alt, sind ohne Zweifel das Beste, was ein Mann sich ansehen kann, der auf die sechzig zugeht. Forever young, mit oder ohne Nase, Ganzkörperbandage, Staubgesicht. Putzfrauen, aufgepasst: Kehrt den Dreck nicht weg.

    Wir besichtigen das Elend wie geplant am kommenden Tag. Die Mumienabteilung ist das Herz des Ägyptischen Museums, vorher mussten wir an Sphinxen und Göttern vorbei, die entweder keinen Kopf oder keinen Rumpf mehr hatten, aber auch an Nachbauten von Streitwagen, für die ich ein größeres Faible besitze. So leicht konstruiert, wie es ging, und mit zwei, drei oder vier Pferden davor, mindestens so schnell wie der Wind, mit scharf geschliffenen Messern an den Rädern, die sich durch die Beine der gegnerischen Heere fraßen. Da flogen Glieder, da spritzte Blut, da wurden Fußknöchel und Kniescheiben zu Knochenparmesan geraspelt und Muskeln zu Spaghetti verschnipselt, während die Pfeile der pharaonischen Bogenschützen, die hinter den Wagenlenkern standen, die Feinde wie Schaschlik aufspießten. Aber zurück zu denen, die all das befahlen. Sie ruhen in den verschiedensten Größen und Zerbröselstadien in langen Regalen, und man sollte bei ihrem Anblick nicht
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