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African Queen

African Queen

Titel: African Queen
Autoren: Helge Timmerberg
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vergangen, und dazwischen lag ein Tauchgang in Wissen und Kraft. In dieser Stunde wurde naturgemäß auch meine zweite Frage beantwortet. Was hat die Moschee, die mich damals für dreißig Jahre auf Reisen schickte, mir heute zu sagen? Dass der Kreis geschlossen ist, die Reise ihr Ende gefunden hat und die Wanderschuhe abzugeben sind? Das hatte ich vermutet, denn ich bin ein bisschen reisemüde, und das nicht erst seit gestern. Ich will heim, endlich heim, aber richtig. Darum verblüfft es mich, bevor es mich beglückt, dass die Botschaft dieses Ortes heute dieselbe ist wie seinerzeit. Exakt dieselbe. Sie besteht nicht aus so dehnbaren Floskeln wie «Die Reise geht weiter» oder «Die Reise ist nie zu Ende», nein, die Botschaft oder die Erkenntnis in dieser fünfhundert Jahre alten Moschee ist folgende:
    Die Reise fängt gerade erst an!
    Ich verlasse die Moschee, und es stimmt. Ich betrete zum ersten Mal in meinem Leben einen Basar. Natürlich weiß ich, dass dem nicht so ist. Es fühlt sich nur so an. Jedes Geschäft, jeder Kiosk, jeder Stand, jede Orangenkiste, jeder Schneider, jeder Handwerker, jeder Händler – mit oder ohne langen weißen Bart, mit oder ohne Turban, mit oder ohne Zähne –, jeder Duft von Weihrauch, Rosenholz, Myrte, Minze und Koriander, jeder Sonnenstrahl, jeder Sonnenfleck, jeder Sonnentropfen und jedes tanzende Staubkörnchen, jedes Lachen, jedes Schimpfen, jeder Blick und jeder Traum darin ist wie ein Satz, wie ein Wort, wie ein Buchstabe in einem Märchen, das ich tausendmal gelesen, aber auch tausendmal vergessen habe, und jetzt lese ich es einmal mehr, und es ist so spannend wie bei der ersten Lektüre. Das Leben ist so gut wie neu.
    Nachdem ich aus dem Basar raus bin, stehe ich vor einer Entscheidung: entweder ein Taxi oder zu Fuß, wie damals. Das Zentrum ist, wenn ich mich nicht verlaufe, nur eine halbe Stunde entfernt. Aber warum sollte ich mich verlaufen? Ich brauche nur der großen Straße zu folgen, die zum Tahrir-Platz führt, also mache ich es wie vor dreißig Jahren. Ich übergebe mich dem Menschenfluss einer Stadt, die vierzehn Millionen Einwohner hat oder sechzehn, wer vermag es zu sagen. Sie verteilen sich nicht gleichmäßig, es gibt Viertel, in denen weniger los ist auf den Straßen, aber nirgendwo ist so ein Betrieb wie in der Altstadt von Kairo. Hier läuft der Topf über, hier sprudelt und spritzt die Stadt und schlägt Blasen, hier tanzt der Deckel auf dem Topf, hier dampft alles. Und was soll ich sagen, ich dampfe mit. Um ein Haar würde ich winken, hüpfen oder mein Glück laut herausrufen, aber das ist der einzige Unterschied zu dem Spaziergang vor dreißig Jahren, heute winke ich nur mit einem Blick, hüpfe mit dem Herzen und rufe mit einem Lachen, aber sonst ist alles beim Alten geblieben oder beim Neuen oder beim ewigen Leben. Worte, nichts als Worte, sie treffen es nicht, jedenfalls nicht ins Schwarze, weil das Schwarze unbeschreiblich ist. Wenn sie gut sind, spiegeln Worte das Leben und das Erlebte, aber ersetzen es nicht. Schleier, Autos und Parfüme, Schuhputzer, Träger und Seifenblasen-Verkäufer, Busse, Esel und Pferdekarren, Barbiere, Burka-Boutiquen und Teehäuser, Kellner und Kriminelle sowie alle und alles, was ich zu erwähnen vergessen habe, fusionieren zu einem riesigen Stück Speck, in dem ich die Made bin. Die Reiseschriftstellermade schlechthin. Ach, was sage ich. Scheiß auf den Schriftsteller! Und genieß die Reise. Sie fängt gerade wieder einmal an. Und die darin ruhende Erkenntnis besagt: An den Pyramiden wurde mir klar, wie alt mein Körper geworden ist, und auf dem Weg vom Khan el-Khalili zum Hotel «Paris» verstehe ich, dass die Schwäche von Muskeln, Kreislauf und Sehnen dem Geist scheißegal sein kann, wenn er weiß, wo die Jungbrunnen sind. Forever young heißt nicht forever fucking, aber es heißt forever love.
    Apropos.
    Lisa wartet nicht im Hotel auf mich. Machmut der Fette auch nicht. Nur Ali ist da, und Ali erzählt mir, dass Machmut meine Freundin auf seinem Motorrad ins Krankenhaus gebracht hat. Jesus Christus, was ist da los? Die Antwort weiß ich eine Stunde später. Lisa kommt mit einer hochprofessionellen Kombination aus Gips und Stützstrumpf zurück. Sie haben sie geröntgt. Ergebnis: glatter Bruch des Fußmittelknochens. Nicht wirklich schlimm, aber schmerzhaft. Sie braucht Ruhe, Tabletten und Krücken. Die gaben sie ihr gleich mit. Und wir probieren sie gleich aus. Sie schafft die Treppen, sie schafft die hundert
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