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Dinner for One auf der Titanic

Dinner for One auf der Titanic

Titel: Dinner for One auf der Titanic
Autoren: Michael Koglin
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James
     
    Amerika, Amerika! Irgendwo da hinter dem Horizont lag es. Das goldene Land. Nur ein Schritt und jede Menge Wasser trennten ihn von diesem Ufer der Glückseligen.
    Ja, dieser gewaltige Kontinent erwartete ihn mit offenen Armen. Bereit, ihm all seine Reichtümer zu Füßen zu legen.
    James blickte in die Ferne. Über den Kaianlagen kämpften zwei kreischende Möwen um einen Hering. Ein kräftiges Tuten verscheuchte sie aus der Nähe des Piers. Das Nebelhorn brachte seinen Bauch zum Vibrieren, und James schien es, als summe auch die Pfanne unter seinem Arm in froher Erwartung leise ein Lied von Freiheit und Abenteuer.
    Fischerboote und kleine Schlepper dümpelten im Hafenwasser, unwirklich wie Boote in einer Spielzeugwelt, über die sich majestätisch mit vier gewaltigen Schornsteinen die Titanic erhob. Er war in Southampton, die erste Etappe war geschafft. Zärtlich fuhren seine Fingerspitzen über den Griff der Pfanne, die er mit seinem Ellbogen an den Körper presste. Ja, dieses runde Stück Eisen und seiner Hände Arbeit würden dem Schicksal auf die Beine helfen. Drüben, in der Neuen Welt.
    James strich das karierte Leinentuch glatt, das er um die Pfanne gewickelt hatte. Sorgsam hatte er sie geputzt und eingefettet. Auch wenn er zu einer Haushaltspfanne hatte greifen müssen, weil trotz aller Bemühungen im gesamten Königreich eine Goldwäscherpfanne einfach nicht aufzutreiben gewesen war, so ein gediegenes Stück Eisen wollte umsorgtsein. Sie würde ihrem Besitzer die liebevolle Pflege tausendfach danken. In glänzenden Goldbrocken.
    An diesem wohlgeformten Stück Eisen entschied sich sein Schicksal. Mit seiner Hilfe würde er die Nuggets aus dem Schlamm des Klondike zuerst ans Licht des Tages und anschließend in seine Tasche befördern.
    Die Pfanne besaß eine Seele. Keine Frage. Womöglich war sie ein wenig störrisch und zickig. Wie eine Frau. Dennoch, sie würde das ihre tun. Drüben, an den Gestaden jenseits des großen Wassers, das er, James McMullen, jetzt im Begriff war, mit einem gewaltigen Sprung zu überwinden.
    James räusperte sich. Nun, besser hätte das wohl auch ein Dichter nicht in Worte fassen können. Klang es nicht wie der Beginn eines verheißungsvollen Romans?
    James schob die Ärmel hoch. Der Frack war wegen der gewaltigen Reichweite des Vorbesitzers etwas üppig ausgefallen. Arme wie Windmühlenflügel, dachte James. Aber das war ein Problem, das mithilfe einiger Sicherheitsnadeln schnell zu beheben war.
    Die Leute redeten über das Zeitalter der Dampfmaschine, über Glühlampen, Telefone und Automobile. Dabei war es die Sicherheitsnadel, die die Welt im Innersten zusammenhielt. Ja, er wusste Bescheid.
    An den Manschetten war der Stoff blank gescheuert, und die Naht löste sich an einigen Stellen auf. Auch das ließ sich flicken. Kleinigkeiten. An Bord war dafür genügend Zeit. Taufrisch würde der Frack aussehen, wenn er ihn sich erst mit Nadel und Faden vorgenommen hatte. Fast so schön, wie er einst aus der Werkstatt des Schneiders gekommen war.
    Die Arbeitskleidung musste korrekt sitzen. Zumindest bei der Beschäftigung, die er für die nächsten Tage vor sich hatte. Auch das eigentlich nicht mehr als Kleinigkeiten. Hier ein bisschen die Betten aufschütteln, dort einen Tee kochen und vielleicht im Bordtelegrafenamt ein paar Depeschen aufgeben. Ein Klacks. Und das alles bei gesunder Seeluft und auf dem luxuriösesten Schiff, das auf den sieben Weltmeeren zu finden war.
    Das Schiff schnaufte ungeduldig Rauch durch seine Schornsteine. Wieder dieses kräftige Tuten. Selbst der Boden hier am Kai der White Star Line vibrierte.
    Seine Zukunft begann mit einem würdigen Namen. »Titanic«, las James noch einmal den am Schiffsbug prangenden Namen. Geradeso, als könnte er das alles noch gar nicht glauben.
    Fest vertäut und kraftstrotzend lag sie im Wasser. Die Aufbauten ragten in den Himmel wie eines dieser neuen Hochhäuser von Southampton. Ein schwimmender Turmbau zu Babel. Oben leuchtete sie in strahlendem Weiß, an den Pollern rieben sich knirschend die Taue. James kam es vor, als zerre die Titanic wie ein junges Fohlen an den Zügeln. Sie konnte es gar nicht abwarten, endlich den Bug in die Atlantikwellen zu nicken. Ein mächtiger Koloss aus Stahl und Nieten, aus Dampfkraft und den kühnsten Ideen, die Schiffsbauer, Ingenieure und Innenarchitekten je ersonnen hatten. Ein solides Schiff und doch ein »Palast der Meere«, wie selbst die Times voller Ehrfurcht geschrieben
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