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Aeternum

Aeternum

Titel: Aeternum
Autoren: Andrea Bottlinger
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der Klosterstraße wieder. Überall waren Menschen auf den Gehsteigen, liefen suchend umher, starrten ins Leere oder unterhielten sich aufgeregt.
    »… Erdbeben … hier …«
    »Wie konnte …?«
    »Keine Ahnung …«
    In der Ferne heulten Sirenen.
    Jul hob den Blick gen Himmel und atmete erleichtert auf, genoss die Weite über ihm. Langsam löste sich die Anspannung der letzten Minuten.
    »Der Fernsehturm!« Der Ruf fuhr wie eine Woge in die Menge, und die Köpfe der Menschen wandten sich in einer stummen Choreographie gen Norden. Dort ragte die Spitze des Turms über den Dächern Berlins auf, die silberne Kugel mit dem Restaurant darin glänzte in der Sonne.
    Im ersten Moment wusste Jul nicht, was ihn an dem sonst so vertrauten Anblick des Turms irritierte, doch dann verstand er.
    Der Fernsehturm stand schief.
    »O mein Gott.« Die alte Frau schlug die Hand vor den Mund. »Zum Glück ist er nicht umgefallen. Stellen Sie sich nur vor, was hätte passieren können!«
    Jul nickte, aber die Furcht der Frau teilte er diesmal nicht. Er hatte bereits zu viele Bauwerke fallen sehen. Er betrachtete die alte Dame, ihre weit aufgerissenen Augen. Nun war sie wieder nichts als eine Fremde. Die durch die gemeinsam erlebte Gefahr geschaffene Verbindung riss.
    »Bringen Sie mich zu meinem Wagen.« Die Stimme des Senators riss ihn aus seinen Gedanken. Der Mann zeigte auf eine Limousine, die nicht weit entfernt im Halteverbot stand. Auch der Chauffeur starrte gebannt auf den schiefen Turm, riss sich aber zusammen, als er den Senator kommen sah. Schnell sprang er heraus und öffnete die Beifahrertür.
    Ächzend ließ sich der Senator in die Polster sinken. Mit schmerzverzerrtem Gesicht zog er das verletzte Bein ins Auto. Als er sich Jul noch einmal zuwandte, wirkte sein sonst so glattes Lächeln verzerrt. »Vermutlich werden die Auswirkungen des Bebens mich eine Zeitlang in Anspruch nehmen. Aber Sie hören von mir. Denken Sie bis dahin über mein Angebot nach.«
    Ärger stieg in Jul auf. War das das Einzige, woran der Mann in diesem Moment dachte? Entschieden schüttelte er den Kopf. »Darüber muss ich nicht nachdenken. Sag deinem Meister, dass ich keine Aufträge von Dämonen annehme. Ich bin kein Söldner, und ich lasse mich nicht in ihre Machtkämpfe hineinziehen.«
    Es war eine Sache, in Kellern, U-Bahn-Schächten und der Kanalisation mit den Wesen aufzuräumen, die sonst vielleicht unschuldige Menschen anfallen würden. Es war eine ganz andere, in einen der Kämpfe zwischen höheren Dämonen verwickelt zu werden. Jene Kämpfe, die im Verborgenen geführt wurden, damit die Menschen nichts davon mitbekamen.
    Der Senator lächelte dünn. »Zu schade.«
    Mit diesen Worten schlug er Jul die Autotür vor der Nase zu.

2
    A mandas Knie schmerzten vom langen Hocken auf dem Boden. Ächzend erhob sie sich und trat einen Schritt zurück. Sie strich sich eine lockige Strähne aus der Stirn und begutachtete ihr Werk kritisch.
    Das Pentagramm wirkte auf dem glatten Parkettboden und im hellen Licht der Halogenlampen seltsam fehl am Platz. Als Balthasar das erste Mal von einer Beschwörung gesprochen hatte, hatte sie an tropfende Kerzen in einer alten Dachkammer mit unebenen Dielen gedacht. Mittlerweile wusste sie, dass sie sich eindeutig sicherer damit fühlte, ein Pentagramm bei guter Beleuchtung und auf einem glatten Untergrund zu zeichnen. Immerhin konnte jede Unterbrechung in dem durchgehenden Kreidestrich ihr Verhängnis bedeuten. Aber darüber wollte sie lieber gar nicht erst nachdenken.
    Mit kreideverschmierten Fingern strich sie ein Eselsohr aus dem Papier in ihrer Hand und verglich die Zeichnung auf dem Boden mit dem Entwurf, den sie auf dem Zettel angefertigt hatte. Zum Glück verlangte der Zauber keine Notizen auf Pergament oder ähnliche Extravaganzen. Das stinknormale karierte Blatt hatte etwas Beruhigendes.
    Noch einmal ging Amanda in die Knie, begradigte die Kreidelinien eines der Zeichen, die an den Spitzen der Zacken saßen.
    »Langsam bekomme ich den Eindruck, du zögerst es absichtlich hinaus.« Die Ungeduld in Balthasars Stimme war nicht zu überhören. »Du hast doch nicht etwa Angst?«
    Amanda wandte sich um und sah zu ihrem selbsternannten Herrn. Er lehnte an der Rückseite des Sofas. Das weiße Hemd und die schwarze Anzughose vermittelten wie so oft den Eindruck, als sei er ein Geschäftsmann, der gerade von einem anstrengenden Arbeitstag nach Hause gekommen war. Nur das lange Haar passte nicht ins Bild. Es fiel
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