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Aeternum

Aeternum

Titel: Aeternum
Autoren: Andrea Bottlinger
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Finger. Doch dann runzelte Jul die Stirn, und das Schimmern erlosch. Irgendetwas stimmte nicht. Verärgert schnalzte er mit der Zunge.
    »Ich kann dich nicht heilen. Deine Seele gehört nicht mehr dir.« Misstrauisch musterte er den Senator, der nun, da der erste Schock vorüber war, erstaunlich gefasst wirkte. Nur eine Andeutung von Schmerz zeichnete sich auf seinen Zügen ab. Diesem Mann war Gewalt nicht fremd …
    Mit schnellem Griff packte Jul den linken Arm des Senators und schob den Ärmel von Jackett und Hemd ein Stück hoch. Dort prangte blutrot eine Tätowierung, der Leib einer Schlange, deren Kopf auf der Innenseite des Handgelenkes ruhte. Sie wirkte grob, als wäre sie ohne Talent und mit einfachsten Mitteln gestochen worden. Umso mehr ein Beweis, dass sie echt war. Jul seufzte. Er hatte sich also nicht geirrt.
    Warum nur ließen sich die Menschen immer wieder so leicht von Dämonen verführen? Merkten sie nicht, dass sie bei einem solchen Handel stets mehr verloren als gewannen? Sie …
    Ein Zittern lief durch den Beton unter ihm. Jul erstarrte. Der Senator sah sich erschrocken um.
    Das Zittern wurde stärker, rollte als dumpfes Grollen durch den alten U-Bahn-Schacht. Kleine Steine und Sand lösten sich aus der Decke und rieselten auf Jul herab. Er fuhr herum, griff nach der Taschenlampe und leuchtete die Decke ab. Feine Risse zogen sich durch das Gestein. Plötzlich war sich Jul der vielen Tonnen Beton deutlich bewusst, die zwischen ihm und dem freien Himmel lagen. Mit spürbarem Gewicht drückten sie auf seine Brust.
    Sein Atem ging schneller. Noch hielt die Decke. Aber für wie lange?
    Jul verlor den Halt auf dem schlingernden Boden und fiel neben dem Senator in die Hocke. Einem Impuls folgend legte er sich den Arm des Mannes um die Schultern, während seine andere Hand weiterhin die Lampe umfasst hielt. Der Senator klammerte sich an ihn wie an einen Rettungsanker.
    Stolpernd und humpelnd hasteten sie die alten Gleise entlang, den fernen Lichtern des Bahnhofs Klosterstraße entgegen. Das Beben wurde zusehends stärker, das Rumpeln und Knirschen lauter. Als sie sich dem Bahnhof näherten, empfingen sie panische Schreie und das Weinen von Kindern. Irgendetwas fiel mit einem lauten Knall zu Boden und zerbrach. Die Lichter am Ende des Tunnels flackerten, und mit einem Mal war der Strahl der Taschenlampe der hellste Punkt in der unterirdischen Dunkelheit.
    Jul zwang sich, gleichmäßig zu atmen, konzentrierte sich auf jeden Schritt. Der Impuls, zu rennen, den Senator zurückzulassen, der sich schwer auf seine Schultern stützte, wurde beinahe übermächtig. Er würde den Tod des Mannes nicht bedauern. Dennoch beharrte etwas in Jul darauf, an seiner Seite zu bleiben. War das schon wieder Mitleid?
    Als er den ersten Fuß auf den Bahnsteig setzte, beruhigte sich die Erde. Langsam verebbten auch die Schreie. Was blieb, waren leises Weinen, Schluchzen und unsichere Rufe.
    »Was war das? Was ist passiert?«
    »Hat jemand Licht?«
    »Wir sind doch nicht eingeschlossen, oder? Es ist nichts eingestürzt?«
    Hier und dort leuchtete das fahle Licht eines Handydisplays auf, und schattenhafte Gestalten schlurften vom Schock betäubt über die Bahnsteige in Richtung Ausgang.
    Jul zuckte zusammen, als ihn eine Hand am Arm berührte. Er fuhr herum und brachte dabei beinahe den Senator aus dem Gleichgewicht. Eine alte Frau blinzelte in das Licht seiner Taschenlampe, das graue Haar zerzaust, die Augen voller Furcht. Jul hielt inne. Es fiel ihm schwer, sich ihrem Blick zu entziehen.
    »Junger Mann …« Ihre Stimme zitterte. Doch noch ehe sie mehr sagen konnte, schob der Senator sie ungeduldig beiseite. »Nun gehen Sie schon weiter.«
    Überrascht wandte sich Jul zu dem Mann um. Er war ein Mensch. Musste die Not der Frau nicht in ihm dieselben Gefühle wecken wie in Jul? Doch falls der Senator Mitleid empfand, war er offensichtlich gut darin, es zu ignorieren. Dämonendiener. Kaum besser als ihre Herren.
    Jul ignorierte das Drängen des Senators. »Kommen Sie mit. Hier entlang.« Er versuchte ein aufmunterndes Lächeln, und die alte Frau erwiderte es zittrig. Die Geste schuf eine flüchtige Verbindung zwischen ihnen, eine seltsame Art der Zugehörigkeit. In diesem Augenblick teilten sie dieselben Ängste.
    Der Senator schnaubte, schwieg aber.
    Sie folgten dem Strom der Flüchtenden die Treppe hinauf und fanden sich schließlich inmitten einer Gruppe staubiger, verängstigter Menschen zwischen den alten Sandsteinhäusern
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