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Moerderische Fracht

Titel: Moerderische Fracht
Autoren: Lukas Erler
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Global Prelude
    Mombasa – Grosny – München
    Mombasa, im März
    R
    ot. Alles, was sie sah, war Rot. Aber vielleicht war das Wort sehen nicht ganz richtig. Sie hatte die Augenlider um eine Winzigkeit angehoben, und das Rot war da. Nicht als Farbe von etwas, sondern einfach als Rot. Direkt vor ihrer Pupille. Und es war in Bewegung, es war ein fließendes Rot, das auf seinem Weg nach unten vor ihren Augen kurz Station machte und sich in Slow Motion zu ihren Wangenknochen weiter hinunterarbeitete.
    Wie lange war sie bewusstlos gewesen?
    Spielte das eine Rolle?
    Nein, aber der Durst spielte eine Rolle. Ihre Mundhöhle, ihr Rachen und ihr Kehlkopf waren trocken wie das kenianische Grasland, das sie vor ein paar Tagen mit dem Landrover durchquert hatte. Sie versuchte, ihre Zunge nach vorn zu bewegen, um sich die Lippen zu lecken, doch ihr Mund ließ sich nicht öffnen. Sie würde ersticken. Eine jähe Panik überrollte die Reste ihres Verstandes, und beinahe hätte sie wieder das Bewusstsein verloren. Dann spürte sie, wie warme Luft durch ihre Nase strömte und sich etwas in ihren Augen mit dem Rot vermischte und es … verdünnte? Das Rot floss jetzt schneller, juckte auf ihren Wangen, und unwillkürlich wollte sie es wegwischen. Ihre Hand rührte sich allerdings ebenso wenig, wie sich ihre Lippen hatten öffnen lassen. Sie versuchte mit aller ihr noch verbliebenen Energie, beide Hände zu bewegen, und löste damit die durch den Schock hervorgerufene Blockade des Schmerzempfindens.
    Eine Welle unbeschreiblicher Qual brandete über ihren Körper hinweg, nahm ihr den Atem und katapultierte ihren Verstand in die Tiefe. Doch er wollte nicht dort bleiben. Unerbittlich kämpfte er sich an die Oberfläche und beharrte darauf, bis zum Schluss dabei zu sein. Und er brachte die Erinnerung mit zurück.
    Sie lag auf einem Bett, ihre Hände waren mit Handschellen an die Pfosten gefesselt, ihr Mund mit Klebeband verschlossen, und sie war sich bewusst, dass sie nur noch ein T-Shirt trug. Der Schmerz, der vorher unterschiedslos ihren gesamten Körper gequält hatte, konzentrierte sich jetzt auf den Brustkorb und ihren Unterleib. Sie hatte eine klaffende, stark blutende Kopfwunde. Das Blut war ihr in die Augen gelaufen und hatte sich mit ihren Tränen vermischt. Das Atmen tat unerträglich weh, weil eine ihrer Rippen gebrochen war.
    Sie kniff die Augen zusammen und versuchte, die quälenden Bilder nicht zuzulassen, wieder abzutauchen in die Dunkelheit. Sie war nicht die Frau, der das passiert war. Das war völlig ausgeschlossen. Vielleicht gab es jemanden, der dumm genug war, sich am helllichten Tag in einem Fünf-Sterne-Hotel überfallen zu lassen. Aber nicht sie. Sie war eine vorsichtige Frau. Jemand, der auf sich aufpassen konnte, kein dummes Opferlamm. Schon lange nicht mehr.
    »Er ist spät dran«, sagte einer der Männer.
    Niemand antwortete ihm.
    Die Stimme war von rechts gekommen. Es war die Stimme eines weißen Mannes, da war sie ganz sicher, und sie verstand, was er sagte, obwohl sie die Sprache nicht kannte. Wie war das möglich? Niederländisch war ihre Muttersprache. Falsch, dachte sie, Flämisch ist meine Muttersprache, und das war keines von beiden.
    »Trink noch was und halt das Maul«, sagte eine zweite Stimme.
    Sie konnte nicht hören, woher die Stimme kam, doch jetzt erkannte sie die Sprache. Es war Afrikaans, das merkwürdige Holländisch der Buren in Südafrika.
    Drei Männer. Zwei Weiße und ein Farbiger. Das hatte sie in dem kurzen Augenblick sehen können, den der farbige Zimmerkellner gebraucht hatte, um das Tablett mit den Getränken fallen zu lassen und ihr mit etwas Schwerem auf den Kopf zu schlagen. Dann das Klebeband und die Handschellen. Die Lautlosigkeit und Geschwindigkeit, mit der die Männer sich bewegten, hatten ihr nicht den Hauch einer Chance zur Flucht gelassen.
    Ein Raubüberfall mit Vergewaltigung. Nichts Besonderes in Kenia. Aberhunderte von Frauen wurden hier täglich vergewaltigt. Allerdings keine weißen Frauen. Und nicht im Indian Ocean Resort. Sie hatten bekommen, was sie wollten. Warum waren sie nicht geflohen? Mit ihrem Geld, den Kreditkarten und der Zehntausend-Dollar-Kameraausrüstung?
    »Time’s running out«, sagte eine tiefe, gutturale Männerstimme, »if you want, I can do it myself.«
    Der falsche Zimmerkellner. Die Stimme kam vom Fußende des Bettes. Sie war so erschrocken, dass sie beinahe die Augen geöffnet hätte. Oh bitte, lieber Gott, lass sie weggehen! Warum gehen sie
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