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Adieu, Sir Merivel

Adieu, Sir Merivel

Titel: Adieu, Sir Merivel
Autoren: Rose Tremain
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Verwirrung, und keines von beidem darf in einer Küche überhandnehmen.«
    Die beiden Männer schienen ratlos, der eine war zu einem rechten Winkel zusammengeklappt, der andere sah aus, als wäre er in einem Kessel mit Brühe gekocht worden, und ich betrachtete sie und dachte bei mir: Ihr werdet noch mein Tod sein. Das Chaos, das ihr anrichtet, überlebe ich nicht.
    Ein Ende durch Selbstmord. Von Sir James Prideaux, der manch einer Hinrichtung auf dem Schafott am Mouse Hill hinter Norwich beigewohnt hat, habe ich erfahren, dass unter all den Räubern, Münzfälschern, Taschendieben, Schuldnern, Piraten und Mördern, die auf dem von Menschenmengen gesäumten Weg zu ihrem Ende schreiten, nicht wenige sind, die ihn mit einem »gewissen Maß an Stolz« gehen. Es scheint, dass ein Verurteilter in seinem letzten Gang auf dieser Erde einen Augenblick wahrer Glorie sieht, als würde er plötzlich erhoben, um für seine fabelhaften Taten gepriesen anstatt für seine Bubenstücke und Betrügereien gehängt zu werden.
    Er trägt dann den besten Rock, den er besitzt; seine Perücke, so er denn eine hat, ist gepudert; die Schnallen seiner Schuhe glänzen; und auf seinem Gesicht liegt – wie Prideaux behauptet – ein glückseliges Lächeln; und dann winkt er, fast wie ein königlicher Prinz, der Menge zu, und wenn für ihn der Augenblick kommt, das Schafott zu besteigen, tut er es mit stolzem Schritt und immer noch winkend, wobei man die schmutzige Spitze an seinem Ärmelaufschlag sehen kann oder die zerzauste Feder an seinem Hut.
    Und das setzt mich wahrlich in Erstaunen, und ich denke bei mir: Warum nur, Merivel, scheust du, wenn solche Männer den Tod nicht fürchten, so feige vor dem Gedanken an ihn zurück? Und so befehle ich mir jetzt, dieses Entsetzen abzuschütteln und meine feige Seele zu stählen, auf dass sie das mir vorbestimmte Ende überspringt, indem sie wie ein Wegelagerer in die Arme ihres Schöpfers eilt. Schwierigkeiten bereitet mir einzig die Vorstellung dieses Schöpfers. Ich sehe ihn immer und ausschließlich als meinen armen Vater, der 1662 in einem Feuer mitsamt den Federn und Bändern seines bescheidenen Kurzwarenhandels verbrannte.
    Ein Ende in Bedeutungslosigkeit. Dies ist, so meine ich, das mögliche Ende, welches mich am meisten bestürzt. Trotz eines gewaltigen Kampfes mit Gott und meiner Berufung und im steten Bemühen (wie einst vom König angemahnt), meinen eigenen Nutzen und Zweck auf der Welt zu entdecken, kommt mir stets wieder der Verdacht, mein Leben sei ein nichtig Ding, schlecht geführt, voller Fehlurteile, falscher Nachsichtigkeit und Faulheit, das mich nur immer tiefer in einen Abgrund von Wirrnis und Leere geführt hat; am Ende erinnere ich mich nicht mehr, warum ich überhaupt lebe. Und ein Mann, der diese besondere Erinnerung verloren hat, ist mit Sicherheit zum endgültigen Vergessen verurteilt.
    Heute kehrt Margaret nach Bidnold zurück.
    Da ist es nur angemessen, dass sich zwischen den Wolken ein Spalt auftut und in meinem Park die Sonne golden und kupferfarben auf Buchen und Eichen scheint. Ich mache einen Rundgang durch den Garten, wo ich erst jüngst eine Allee aus Hagebuchen gepflanzt habe, die mich über alle Maßen erfreut, und schaue dem Rotwild zu, wie es, ungestört von den Novemberwinden, im ruhigen Licht friedlich grast und mit den Stummelschwänzen zuckt. Und ich konstatiere, was ich schon hundertmal konstatiert habe, wie viel Schönheit es hier doch gibt.
    Als die Kutsche mit Margaret die Zufahrt heraufgefahren kommt, gehe ich eilig zurück zum Haus, wo ich auf Willstoße, der sich schon auf die Begrüßung seiner jungen Herrin einzustellen versucht. Margarets Zofe Tabitha tritt ebenfalls vor die Tür, streicht sich die Schürze glatt und ordnet ihre Haare, die der Wind zerzaust hat, und ich sehe in den Gesichtern dieser beiden einen Ausdruck großer Freude.
    Margaret entsteigt der Kutsche in einem neuen braunen Cape, vermutlich einem Geschenk von Lady Prideaux, und ich eile zu ihr, schlinge meine Arme um sie und sage ihr, wie froh uns alle hier auf Bidnold ihr Anblick mache. Obgleich sie doch mein Kind ist, erstaunt mich jedes Mal von Neuem der strahlende Glanz, den sie mit sich bringt. Sie ist wie ein Regenbogen oder wie ein funkelnder Lichtstrahl, der vorher nicht da war.
    Beim Nachtmahl sagt Margaret zu mir: »Papa, ich habe dir Neuigkeiten zu berichten: Sir James wird den ganzen Dezember und noch bis über die zwölfte Januarnacht hinaus mit seiner Familie auf
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