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Adieu, Sir Merivel

Adieu, Sir Merivel

Titel: Adieu, Sir Merivel
Autoren: Rose Tremain
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haben. Ich zog in der Tat fünf Anfänge in Betracht. Denn damals begriff ich, dass kein Leben nur da beginnt, wo es beginnt, sondern dass es auch noch andere Anfänge hat und dass ein jeder das, was kommen wird, mitbestimmt.
    Und jetzt erkenne ich mit der gleichen Klarheit, dass das Leben eines Menschen mehr als ein Ende haben kann. Dochleider Gottes zeigen sich mir die Enden, die ich möglicherweise verdient habe, allesamt in einem düsteren Licht. Wenn es denn fünf gibt, so wie es fünf Anfänge gab, dann werden es gewiss die folgenden sein.
    Ein Ende in Einsamkeit. Ich klammere mich an Margaret. Sie allein steht zwischen mir und einem sehr übermächtigen Gefühl für die Leere, die mich umgibt. Alles, was in mir gut und nobel sein mag, sehe ich einzig in ihr. Doch ich weiß, dass Margaret nur zu bald heiraten muss. Sie wird Bidnold für ein anderes (und besseres) Leben verlassen.
    Schon spinne ich insgeheim Pläne für diese Zukunft, beratschlage mich, mit Prideaux und anderen mir bekannten Personen aus Norfolk, über die Eignung gewisser Söhne von Landedelleuten – oder sogar des Adels – als möglicher Ehemann für die Tochter eines Ritters des Hosenbandordens und engen Vertrauten des Königs.
    Hugo Mulholland, Sohn und Erbe von Sir Gerald Mulholland, ein stattlicher junger Mann, aber mit seltsam stotternder Zunge, hat Margaret schon mehr als einmal seine Aufwartung gemacht. Ich weiß, dass sie nichts von ihm hält und, kaum ist er weg, über sein Stottern lacht und es meisterhaft zu imitieren versteht.
    Bei seinem letzten Besuch, als dieser arme Hugo schon sicher und geborgen in seiner abfahrbereiten Kutsche saß, umarmt Margaret mich und flüstert: »Papa, ich bitte dich, wirf mich nicht einem stammelnden Gemahl in die Arme!« Und ich küsse ihr Haar und versichere ihr, dass sie nur heiraten wird, wenn sie es selbst will, und dass ich sie am liebsten bis ans Ende aller Zeiten bei mir auf Bidnold behalten würde. Doch ich weiß, dass ich das nicht darf. Margaret wird eines Tages heiraten, Punkt, aus.
    Ein Ende in Armut. Obgleich ich immer noch als Arzt praktiziere und die Wunden und Leiden meiner Nachbarn in Norfolk so gut ich kann behandele, scheine ich zu den Menschen zu gehören, bei denen andere sich lieber verschulden als ihnen das zu zahlen, wozu sie sich verpflichtet haben.
    Von Zeit zu Zeit rechne ich zusammen, was man mir noch schuldig ist, und diese Summen sind stets sehr hoch, und für eine Weile gebe ich mir redlich Mühe, meinen Schuldnern gegenüber Härte und Entschlossenheit zu zeigen. Einige haben darauf die Güte, meine Rechnungen zu begleichen, aber wenn dann der Rest der Gelder ausbleibt, schwinden nach und nach Härte und Entschlossenheit, ich werde meiner Verfolgungsjagd absolut überdrüssig, so als ginge es um ein in den Wäldern der Legenden umherirrendes Einhorn, das ich niemals finden werde.
    Folglich wird mein Einkommen sich mit der Zeit womöglich auf fast gar nichts belaufen, und ich werde – sofern der König nicht an seinem sehr generösen Salär oder loyer festhält, das er mir zusprach, als er mir mein Haus 1668 zurückgab, um sicherzustellen, dass ich jederzeit in der Lage wäre, ihn auf Bidnold Manor zu empfangen – vielleicht in einen Zustand der Mittellosigkeit geraten, aus dem es keinen Ausweg gibt. Ohne den loyer würde ich zweifellos in großen Unannehmlichkeiten sein.
    Ein Ende durch Gift. Mein Koch Cattlebury steht – wie schon erwähnt – Will mit seiner Konfusion kaum nach, weshalb er seine kulinarischen Aufgaben auch nicht länger verlässlich und mit wirklichem Geschick und Können erfüllen kann. Vergangene Woche süßte Cattlebury eine Fleischpastete und briet einen Hering in Sirup. Als ich diese Kunststücke in die Küche zurückgehen ließ, erschien Cattlebury, wie ein dampfumwehtes und schweißgebadetes Ungeheuer, in meinem Speisezimmer, hielt in seinen Händen keinen Knüppel, sondern ein hölzernes Sieb, durch dessen Löcher sein Gehirn fortgesickert sein muss, und fragte mich, wieso ich ihn, der sich solche Mühe mit der Erfindung neuer Gerichte für mich gegeben habe, und seine Kunst derart verächtlich behandele.
    »Cattlebury«, sagte ich, »wenn dies Erfindungen sind,dann bitte ich dich, kehr zu dem zurück, was schon erfunden worden ist.«
    Will stand neben ihm, tief gebückt und mit trauriger Miene. »Es war keine böse Absicht, Sir Robert«, sagte er.
    »Wenn es keine Absicht war«, erwiderte ich, »dann tat er es aus Unachtsamkeit oder
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