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Such mich Thriller

Such mich Thriller

Titel: Such mich Thriller
Autoren: Carol O Connell
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Prolog
    W ie ein Gespenst geisterte ein kleines Mädchen mit verfilztem Haar und verschmutzten Sachen durch die Grand Central Station. Nur zu den Pendlerzeiten wurde es gesichtet, morgens und abends, wenn die Kleine glaubte, im Gewimmel der Reisenden unsichtbar zu sein - dabei war völlig klar, dass dieses unglaubliche Gesicht nirgendwo auftauchen konnte, ohne alle Blicke auf sich zu ziehen. Ladenbesitzer griffen zum Telefon, wählten die Nummer auf der Visitenkarte eines Polizeibeamten und meldeten: »Sie ist wieder da.«
    Sie stellte sich immer unter den großen Bogen, denn sie hatte sich auf den Tipp eines Bettlers verlassen. Irgendwann kommen hier alle vorbei, hatte der stinkende alte Penner gesagt, wenn du nur lange genug wartest. Geduldig sah das Kind in tausend Gesichter und wartete auf einen Mann, den sie nicht kannte. Aber sie würde ihn an den Augen erkennen, das wusste sie genau, an den Augen, deren Farbe ebenso selten war wie ihre, und er würde sofort sehen, dass Kathy das Gesicht ihrer Mutter hatte, und er würde überglücklich sein. Dieser Glaube war unerschütterlich, denn dieses Kind ohne Vater neigte von klein auf zu rigoroser Ausschließlichkeit.
    Er kam nie. Monate vergingen. Sie gab die Hoffnung nicht auf.
    Wenn der Tag zu Ende ging, war sie müde und hungrig. Mit geballten Fäusten wütete sie gegen den Bettler, dessen Lügengeschichten sie hier gefangen hielten.

    Auf dem Höhepunkt der Rushhour sichtete sie ein vertrautes Gesicht, aber es war nicht das, auf das sie gewartet hatte. In den schmalen Lücken zwischen den Reisenden sah sie die füllige Gestalt des Kriminalbeamten. Er war noch auf der anderen Seite des Zwischenstocks, trotzdem meinte Kathy schon von weitem sein Keuchen und Schnaufen zu hören. Sie wartete.
    Geduckt.
    Eine Sekunde, zwei Sekunden, drei.
    Sobald sie in seiner Griffweite war, begann das Spiel - kläglicher Spielersatz für ein obdachloses kleines Mädchen. Sie lief auf die große Treppe zu, schoss an dem Mann vorbei, so dass er sich rasch umdrehen musste. Die Sohlen ihrer Turnschuhe klatschten auf die Stufen, als sie wie ein blondes Geschoss, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hochlief.
    Und lachte, lachte .
    Oben angekommen, drehte sie sich um. Die Jagd war vorbei, und so schnell diesmal! Der Verfolger hatte an der untersten Stufe aufgegeben. Er rang nach Atem und legte eine Hand an die Brust, als ob ihm das Herz Probleme machte.
    Kratz ab, Alter, flüsterte die Kleine.
    Sie sahen sich in die Augen, er bittend, sie unerbittlich und mit ihrem berühmten siegesbewussten Lächeln: Ätsch, jetzt hab ich dich!
    Eines Tages - aber nicht an jenem Abend - sollte Louis Markowitz sie fangen und ihr Pflegevater werden. Noch Jahre danach, als sie einander schon sehr nahe waren, griff er sich, wenn Kathy ihn so anlächelte, an die Gesäßtasche, um sicherzugehen, dass seine Brieftasche noch da war.

1
    S o, wie es aussah, war die Frau in diesem Appartment der Upper West Side von eigener Hand gestorben. Und so, wie das Apartment aussah, musste man sich fragen, ob hier überhaupt mal jemand gewohnt hatte.
    Alles im Raum war streng rechtwinklig angelegt, mit scharfen Kanten, viel Glas und Stahl, schroffen Kontrasten von schwarzem Leder und kahlen weißen Wänden. Die Wohnung war komplett möbliert und wirkte doch leer. Allerdings war sie wohl erst vor kurzem verlassen worden, zurückgeblieben war nur die Tote, die in Kathy Mallorys Wohnzimmer lag.
    Der Schuss ins Herz wirkte einleuchtender, wenn man den handgeschriebenen Satz auf dem Zettel gelesen hatte, der als Abschiedsbrief gelten mochte: Die Liebe ist mein Tod.
    »Hätte sie den Wisch nicht unterschreiben können?«, murrte Dr. Slope.
    Der Detective nickte.
    Chefpathologe Edward Slope hatte sich nur ausnahmsweise und in diesem besonderen Fall - plötzlicher Tod in der Wohnung einer Kriminalbeamtin - aus dem Haus bequemt. Wäre da nicht dieses persönliche Interesse gewesen, hätte man seinetwegen die Tote auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln in seine Leichenhalle verfrachten können. Hausbesuche waren in seiner Stellenbeschreibung nicht vorgesehen, dafür gab es die Kollegen vom Bereitschaftsdienst. Heute Abend hatte Dr. Slope sich nicht an diese Regel gehalten und prompt seine Socken vergessen.
Aber obwohl er unter seinem Sakko ein Pyjamaoberteil trug, war er immer noch der bestangezogenste Mann im Zimmer.
    Detective Sergeant Riker dagegen sah aus, als hätte er sich mit Straßenkleidung ins Bett gelegt. Auch
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