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Adieu, Sir Merivel

Adieu, Sir Merivel

Titel: Adieu, Sir Merivel
Autoren: Rose Tremain
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ist die ganze Angelegenheit Will eine Frage, die mich außerordentlich quält, denn ich bin mir durchaus bewusst, dass ich, was meinen treuen Diener angeht, in einer sehr schmerzlichen Falle sitze.
    Ich kenne William Gates (stets und ständig von mir nur »Will« genannt) seit dem Jahre 1664, als der König mir zusammen mit den Ländereien in Norfolk den Hosenbandorden verlieh. Diese Auszeichnungen erhielt ich für einen bedeutenden Dienst, den ich Seiner Majestät erwies und der mein Leben von Grund auf änderte.
    In eben diesem Jahr kam Will, zusammen mit dem Koch Cattlebury, in meinen Haushalt und zeigte mir in all meinen Freuden und Leiden nichts als treue Ergebenheit und Achtung, und das auf die berührendste Weise.
    Obgleich die Innenausstattung meines Hauses eine Zeitlang sehr überladen und vulgär war, gab Will vor, sie zubewundern. Obgleich ich mich Celia, meinem jungen Weib, gegenüber in einer Weise verhielt, die sowohl sie wie die Welt nur verabscheuen konnten, bedachte Will mich nicht ein einziges Mal mit einem auch nur versteckt betrübten oder vorwurfsvollen Blick. Und als mein geliebtes Haus und ich aufgrund meiner zahllosen Torheiten für einige Jahre voneinander scheiden mussten, wurde Will zum Hüter des Hauses und versorgte mich getreulich mit Nachrichten über das Kommen und Gehen dort und die veränderten Farben des Parks im Wechsel der Jahreszeiten. Kurzum, niemand hätte beinahe zwanzig Jahre lang einen trefflicheren, treueren und tüchtigeren Diener an seiner Seite haben können.
    Doch mittlerweile sind Wills Körper und Geist sehr hinfällig geworden. Obwohl ich ihn weiter mit einem hübschen Sümmchen entlohne, ist er nicht länger in der Lage, die Aufgaben, die das Haus und meine Person betreffen und für die ich ihn bezahle, in befriedigendem Maße zu erledigen. Laufen kann er nur, indem er die Knie nach außen dreht und das Rückgrat beugt, wie den Rücken einer kleinen Ratte, und Räume durchquert er langsam und unter größten Schmerzen. Was er in seinen Händen trägt, sei es eine Suppenterrine oder ein Bierkrug, droht zu fallen, zu zerspringen oder überzulaufen, denn seine Hände sind von einer Krankheit verkrümmt und können Dinge nicht mehr sicher und fest umschließen.
    Andere Gebrechen haben sich dazugesellt, als da wären Vergesslichkeit, Sehschwäche und eine Taubheit, von der ich jedoch vermute, dass sie eher auf eine Grille als auf den tatsächlichen Verlust des Gehörs zurückzuführen ist. Denn wenn ich Will einen Auftrag gebe, der ihm nicht behagt, etwa mich auf einem meiner Patientenbesuche zu begleiten, gibt er vor, kein Wort von dem, was ich geäußert habe, zu verstehen, während er jedem Befehl, der ihm zusagt, fraglos und ohne zu zögern nachkommt.
    Die Welt jenseits der Tore von Bidnold macht ihm jetzt Angst. Früher konnte er mich noch in einer schnellen Kutsche nach London begleiten und geduldig in den Gärten von Whitehall warten, während ich eine Audienz beim König durchzustehen hatte, die mir fast das Herz brach, und Will ebenfalls; heute dagegen hält er sich stets im Innern des Hauses auf und wird kaum bei einem Gang durch den Park anzutreffen sein – »damit ich nicht«, wie er mir eines Tages erklärt hat, »von einem Winterfieberfrost befallen werde, Sir Robert, oder auf einem Grasbüschel ausgleite und stürze und mir das Schienbein breche und nicht mehr in der Lage bin aufzustehen und unentdeckt liegenbleibe, bis die Nacht oder der Morgen kommt und Frost oder Schnee mich gänzlich erledigt hat.«
    »Ach, ist es das, was du von mir denkst, Will«, sage ich daraufhin, »dass ich dich dort liegen lassen würde, allein und verletzt unter den Sternen oder im Schnee?«
    »Nun ja, so ist es, Sir«, entgegnet er, »weil Ihr nämlich nichts von meinem Sturz wissen würdet, denn ich bin ein Diener, Sir Robert, und habe mich in den vergangenen zwanzig Jahren in der Kunst der Unsichtbarkeit geübt, damit mein Anblick, ob aufrecht oder liegend, Euch niemals beunruhigt.«
    Ich hätte gern geäußert, dass Wills Anblick in den letzten Jahren bei mir nichts als Beunruhigung weckt, tat es jedoch nicht. Denn irgendetwas Verletzendes zu Will zu sagen, stand außerhalb meiner Macht. Und wenn ich an das denke, was ich billigerweise tun sollte, ihn nämlich aus meinen Diensten entlassen, dann fühle ich in meinem Herzen einen entsetzlichen Schmerz. Denn in Wahrheit ist es so, dass ich eine äußerst tiefe Zuneigung zu Will hege, fast so, als wäre er eine Art Vater für
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