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Die Maske des Meisters

Die Maske des Meisters

Titel: Die Maske des Meisters
Autoren: Henke Sandra
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1. KAPITEL
    Claire Austin setzte sich in den Schaukelstuhl auf der Veranda ihres Bruders Todd Moose. Sie trug nichts unter ihrem leichten roten Baumwollkleid, denn die Sommersonne hatte den ganzen Tag auf Ohio niedergebrannt, als wolle sie alles versengen. Zum Glück dämmerte es bereits.
    Nachdenklich saß Claire dort, zog die Beine an, umschlang ihre Knie und schaukelte vor und zurück. Die Brise streichelte sie sanft zwischen den Schenkeln, eine sachte Berührung, die herrlich prickelte.
    Ihr Blick schweifte über die Felder, die das alte Haus an drei Seiten umrahmten, während der Eingang von Eichen, Rotbuchen und Ahornbäumen geschützt wurde. Das zweistöckige Gebäude war so oft von Todd notdürftig ausgebessert worden, dass es wie ein Flickwerk aussah.
    Dad hatte es damals fachmännischer gemacht, er konnte alles, dachte sie wehmütig, aber er lebte nicht mehr, und der gutmütige Todd hatte zwei linke Hände.
    Sie erinnerte sich daran, wie ihre Eltern das Haus von Hank McLoughlin, dem Farmer, dem die Felder gehörten, abgekauft hatten. Spottbillig, denn es fiel fast in sich zusammen. Aber ihr Dad hatte es mühsam ein ganzes Jahr lang neben seinem Job renoviert, während sie längst darin wohnten, denn sie brauchten das gesparte Geld für die Miete, um Baumaterial zu kaufen. Bill Moose hatte fast zwanzig Jahre den Village Green Park in Fairfield gehegt und gepflegt und nach dem Hauskauf zusätzlich noch Hausmeisterarbeiten im Community Arts Center und der Lane Public Library übernommen.
    Gegen Fairfield wirkte Oakwood wie ein Fliegendreck. Die winzige Gemeinde war auf den meisten Landkarten der Region nicht einmal markiert.
    Das Haus der Mooses war geschichtsträchtiger, als die meisten Menschen wussten, hatte es doch im Sezessionskrieg als geheimer Unterschlupf der Underground Railroad gedient, einer Organisation, die Sklaven auf der Flucht versteckte. Zur Zeit des amerikanischen Bürgerkriegs war es selbst in den freien Staaten illegal, einem entflohenen Zwangsarbeiter zu helfen. Der Ohio River stellte damals die Trennlinie zwischen den Nord- und Südstaaten dar und galt deshalb als ein heißes Pflaster.
    Vielleicht war die Vergangenheit des alten Hauses ebenfalls ein Grund für Dad gewesen, es zu erhalten, dachte Claire, die ihren Vater um seine Beharrlichkeit beneidete. Sie selbst fühlte sich ziellos.
    Die Kronen der Maispflanzen ragten hoch in den Himmel. Die Sonne tauchte langsam hinter den Hagebuttensträuchern ab, die als Begrenzung der Felder und gleichzeitig als Windschutz dienten. Unter der Veranda hörte Claire ein Rascheln, als würde sich eine Maus aus ihrem Loch trauen, nun, da die Abenddämmerung eingesetzt hatte und die zunehmende Dunkelheit die Sommerhitze erträglich machte.
    Hier war Claire aufgewachsen. Von hier war sie geflüchtet. Und nun war sie zurück zu ihren Wurzeln gekehrt. Gezwungenermaßen.
    Noch vor Kurzem hätte sie nie und nimmer gedacht, auch nur länger als eine Nacht auf Besuch in diesem 1000-Seelen-Kaff Oakwood zu verbringen. Aber nun saß sie hier, die Heimkehrerin. Alle im Ort tuschelten sicherlich, sie hätte es in New York City nicht geschafft und dass man vor Problemen nicht weglaufen konnte.
    Aber tat Claire nicht genau das jetzt ein zweites Mal? Sie war vor Trauer aus Oakwood geflohen und flüchtete nun aus New York, weil ihr Traum in Trümmern lag. Nur wusste es niemand außer Todd, und wenn es nach ihr ginge, würde auch niemand ihr kleines Geheimnis erfahren.
    Sie sah das Autowrack in ihrer Erinnerung glasklar, dabei war es schon zwei Jahren her, dass der Pick-up ihrer Eltern auf dem Bahnübergang von einem Zug erfasst worden war, doch das Bild der Unfallstelle hatte sich auf ewig in ihr Gedächtnis gebrannt. Die umherliegenden Teile. Die zusammengequetschte Fahrerseite. Das Blut. Ihr Vater hatte keine Chance gehabt.
    Ihre Mom, die auf der Beifahrerseite gesessen hatte, lag auf einer Trage im Krankenwagen, hatte Claire angeschaut und mühsam herausgebracht: „Hatte nur … diesen Song laut gedreht … mitgesungen. Du weißt … liebe … Keith Urban. Dein Dad … mich so verliebt … angeschaut.“ Dann hatten sich die Türen des Ambulanzwagens geschlossen, und er war losgefahren, doch Karen Moose war längst wieder mit ihrem Mann vereint, als sie im Bridgeport Hospital ankam.
    Kurz danach war Claire von Ohio fort in die Großstadt gezogen und hatte ihren Bruder allein gelassen. Zu diesem Zeitpunkt war sie gerade 24 Jahre alt. Sie war sogar wütend auf Todd
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