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Adieu, Sir Merivel

Adieu, Sir Merivel

Titel: Adieu, Sir Merivel
Autoren: Rose Tremain
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so …« Und ich nahm ihre beiden Hände und begann mit ihr zu tanzen, und sie hüpfte und sprang voller Freude, und ihr Lachen war wie der Klang von Glocken, die unter dem weiten Himmelsgewölbe geläutet werden. Und dann hob ich sie hoch und trug sie zur Kutsche und sagte zu ihr: »Ruh dich hier kurz aus, während ich einen letzten Rundgang durch die Häuser mache, um mich zu vergewissern, dass niemand zurückgelassen wurde, ich werde im Nu wieder hier sein.«
    Ich hatte eine Tüte Korinthen mitgenommen, und ich gab ihr eine Handvoll, und sie begann, sie gehorsam zu essen, während ich dem Kutscher sagte, er solle auf mich warten. Und dann machte ich mich auf den Weg zu dem Ort, wo Pearce liegt.
    Das Grab, nur geschmückt mit einem schlichten Holzkreuz (denn bei den Quäkern hat alles schlicht zu sein), war ganz und gar mit Holunder und Dorngestrüpp überwuchert, und ich konnte nicht umhin, mich an deren Beseitigung zu machen, und riss mir in meiner Hast die Hände auf, und ichspürte Pearce’ Verachtung für das, was ich tat, und hörte ihn im Geiste sagen: »Merivel, erklär mir, welchem Zweck dein Tun dient. Denn fürwahr, ich sehe keinen.«
    »Nein«, sagte ich. »Es gibt absolut keinen. Nur den, dass diese Dinge mich erzürnen.« Und dann stieß ich einen schluchzenden Schrei aus und fragte: »Wohin sind sie alle gegangen, Pearce? Sag mir, wohin sie gegangen sind!«
    Aber selbstverständlich kam keine Antwort aus dem vernachlässigten Grabhügel. Ich beseitigte alles Unkraut und verband meine Hände mit einem Schnupftuch und berührte die schwarze Erde mit meinen Fingern.
    »John Pearce«, sagte ich, »du bist immer bei mir.«
    Margaret hat nun das Alter von siebzehn erreicht. Sie wohnt schon ihr Leben lang hier bei mir auf Bidnold, und ich habe mich bemüht, ihr beides zu sein, Vater und Mutter, und zu meiner Freude und Erleichterung stelle ich fest – ohne mich rühmen zu wollen und ohne väterliche Blindheit –, dass sie ein wunderhübsches, keusches, warmherziges junges Mädchen ist, von arglosem Wesen, dem meinen nicht unähnlich, wundersamerweise jedoch ohne die Dummheit ihres Vaters.
    Sie liebt mich, das weiß ich, so, wie es nur ein Vater von seinem Kind verlangen kann, doch als sie größer wurde, gefiel es ihr zunehmend, ihre Zeit im Hause Sir James Prideaux’ zu verbringen, meines nächsten Nachbarn in Norfolk, der ein höchst geachteter und der Jurisprudenz kundiger Mann ist und dreimal in der Woche den Vorsitz im Sitzungshaus von Norwich führt.
    Prideaux’ Haus, Shottesbrooke Hall, ist, dank seiner vortrefflichen Gemahlin Arabella und ihrer vier Töchter, Jane, Mary, Virginia und Penelope, ein sehr lebhafter Ort. Und ich sehe wohl, dass es dort mehr gibt, was Margaret froh machen kann, als hier bei mir auf Bidnold.
    Dass Prideaux keinen Sohn hat, muss für einen Mann seines Standes und Strebens eine Enttäuschung sein, docher spricht nie darüber. Seinen Mädchen gegenüber zeigt er nichts als zärtliche Güte und ist bestrebt, ihnen alles zu bieten, was er glaubt, ihnen bieten zu müssen. Musiklehrer, Tanzmeister, junge Magister der Mathematik und Geografie, aber ebenso Schnitt-Entwerfer, Weißnäherinnen und Kurzwarenhändler (wie meine lieben Eltern es einst waren) gehen in Shottesbrooke ein und aus, und die Prideaux-Mädchen zeigen ein jedes die feinste Wissbegier auf die Welt.
    Um Margaret, die dasselbe Alter hat wie Mary, ist die gesamte Familie rührend besorgt – gerade so, als gehörte sie zur Familie. Sie begreifen, dass Margaret, obgleich auch ich mich sehr um ihre Erziehung bemüht habe – mit dem Erfolg, dass sie ausgezeichnet Cembalo spielt, fließend Französisch sprechen kann und tanzt wie eine reizende Waldelfe –, die Tage bei mir häufig ein wenig öde finden muss. Sie studiert jetzt Geografie mit Mary und gerät darüber in wahres Schwärmen und sagt zu mir: »Ach, Papa, erst jetzt begreife ich, wie weit und groß die Welt ist. Und gewusst habe ich auch nicht, dass die großen Ströme als kleine Quellen im Schoß der Berge beginnen, und hast du gewusst, dass es mehr als zweihundert Sprachen auf der Erde gibt?«
    »Nein«, sage ich, »gottlob wusste ich es nicht. Das Französische zu meistern fällt mir schon schwer genug.«
    Margaret weilt in diesen grauen Novembertagen, als Der Keil so plötzlich in meinen Besitz gelangt ist, in Shottesbrooke Hall.
    Ich möchte anmerken, dass ich, als ich meine Geschichte niederschrieb, glaubte, sie könne mehr als einen Anfang
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