Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Al Wheeler und der Tanz in den Tod

Al Wheeler und der Tanz in den Tod

Titel: Al Wheeler und der Tanz in den Tod
Autoren: Carter Brown
Vom Netzwerk:
1
     
    Ich fuhr den Austin Healey
vorsichtig über die Schlaglöcher und Querrinnen der Privatstraße, die
eigentlich nur ein mit Hilfe einer Planierraupe gerodeter Weg war, und fragte
mich, warum um alles auf der Welt sich überhaupt jemand die Mühe gemacht hatte,
hier draußen ein Haus zu bauen. Die Ausläufer des Bald Mountain waren eine mit
Bäumen und Gestrüpp bewachsene Wildnis, ein Nährboden für sommerliche Waldbrände.
    Neben mir erwachte brummend ein
leicht mottenzerfressener Brontosaurier aus seinem millionenjährigen Schlummer
und blinzelte mit lethargischem Abscheu in die strahlende Helle des frühen
Morgenlichts.
    »He, Lieutenant Wheeler?«
Sergeant Polniks sandstrahlpolierte Stimme zerriß mir beinahe das rechte Trommelfell. »Wie heißt
dieser Kadaver noch ?«
    » Leckwick «,
sagte ich. »Anton Leckwick .«
    » Phhh !« Sein Adamsapfel hüpfte mitfühlend auf und nieder. »Bei so
einem komischen Namen wundert’s mich nicht, daß sich der Kerl umgebracht hat .«
    »Ja«, sagte ich ohne ernstliche
Hoffnung, dadurch das Geplausche zu beenden.
    »Und wer ist das Frauenzimmer,
das angerufen und den Selbstmord gemeldet hat ?« erkundigte sich Polnik mit der ganzen unbarmherzigen
Beharrlichkeit seines Einbahn-Gemüts.
    » Tamayer .«
Ich zuckte hilflos zusammen. »Natasha Tamayer .«
    Sein vorübergehendes Schweigen
war beredter als ein Schrei. »Natasha ?« wiederholte er
ein paar Sekunden später wie betäubt. »Und Ballspielerin ist sie, haben Sie
gesagt, Lieutenant ?«
    Es war zu spät, zu bedauern,
was ich dem Sergeanten bereits mitgeteilt hatte. Nun blieb mir keine andere
Wahl, als mich in die schlammigen Tiefen des wie auch immer gearteten
Gehirnersatzes in diesem gußeisernen Schädel
herabzerren zu lassen.
    »Keine Ballspielerin,
Sergeant«, sagte ich leichthin. »Eine Ballerina.«
    »Das ist doch eine Stadt,
Lieutenant«, sagte er zuversichtlich. »Etwa dreißig Kilometer nördlich von Long
Beach, nicht?«
    »Eine Ballerina ist eine
Tänzerin«, knurrte ich. »Sie tanzt im Ballett .«
    »Wo ist das ?« Seine Neandertalerstirn furchte sich schreckenerregend. »Irgendwo in der Nähe
von Rose Bowl, nicht ?«
    »Sie tanzt im Ballett«, seufzte
ich. »Genauso, wie ein Schauspieler im Theater spielt.«
    »Ja?« Er nickte langsam, so als
ob er nachhaltig beeindruckt wäre. »In welchem Theater, Lieutenant?«
    In diesem Augenblick gab ich
auf, hauptsächlich, um meine eigene geistige Gesundheit zu bewahren. »In dem in
der Nähe von Rose Bowl — wo sonst ?« zischte ich.
    »Ich bin nie dort gewesen«,
sagte er einfach. »Meine Alte hält nichts von dem Hüftgewackel .«
    »Hüftgewackel?« Seiner Logik zu
folgen hatte etwas fatal Faszinierendes, selbst wenn einen dies geradewegs auf
die Bahn des Wahnsinnsgestammels führte.
    »Klar«, grunzte er. »Wenn sie
schon Natasha heißt, muß das Frauenzimmer eine exotische Tänzerin sein, nicht ?« Er betrachtete mich eifrig aus einem Augenwinkel. Dann
räusperte er sich sachte, bevor er anhob, meine Unwissenheit zu beheben. »Eine
exotische Tänzerin, Lieutenant«, erklärte er bedächtig, »ist der feine Ausdruck
für eine Strip- tease -Tänzerin .«
    Barmherzigerweise tauchte in diesem Augenblick,
als wir eben um die letzte Biegung des gewundenen Wegs gebogen waren, das Haus
vor uns auf. Es bestand aus einer irren Anhäufung von Giebeln, Türmchen und Balkonen,
alles in großem Maßstab, und sah aus, als sei es von einer Hexe aufgestellt
worden, um Waldturteltäubchen anzulocken. Von einer Hexe namens Natasha Tamayer ? fragte ich mich halb geistesabwesend, während ich
auf die Bremse trat und den Healey in einer Staubfontäne vor der überdachten
Haustür zum Stehen brachte.
    Die massive Eingangstür war mit
dünnem, poliertem Kupferblech überzogen, auf der die Inschrift: Ich bin die Freistatt, wenn mit der Nacht der
Jäger kommt eingraviert war. Allein diese Inschrift ließ mich froh darüber
sein, daß ich in einem Apartmenthaus im Herzen von Pine City wohnte, in dem die einzigen verdächtigen Geräusche in der Nacht von den
Jungverheirateten stammten, die vor einer Woche in das Apartment über mir
gezogen waren. Ich zog an dem zusammengeknoteten Klingelzug neben der Tür. Die
Bronzeglocke setzte sich langsam in Bewegung und gab ein sonores Geläute von
sich, das wie das Zeichen für die umliegenden Wälder klang, ihre Toten
auszuspeien. Es war eines der wenigen Male, in denen ich über Polniks beruhigend ausdrucksloses Gesicht neben mir
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher