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Adieu, Sir Merivel

Adieu, Sir Merivel

Titel: Adieu, Sir Merivel
Autoren: Rose Tremain
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dem Landgut seiner Mutter in der Grafschaft Cornwall weilen. Und man hat mich eingeladen, sie zu begleiten.«
    Cattlebury hat uns eine Carbonada serviert, eines der wenigen Gerichte, die er nur selten verhunzt oder anbrennen lässt. Bis zu diesem Moment habe ich diese Köstlichkeit genossen, aber nun spüre ich plötzlich, wie mein Appetit schwindet.
    »Cornwall?«, frage ich hilflos.
    »Ja«, erwidert Margaret. »Mary sagt, in jenem Teil des Landes wehe das ganze Jahr über ein warmer Wind, und Blumen blühten zu Weihnachten, und es gebe dort Wege mit Sand und Kamille, die vom Haus bis ans Meer führen …«
    Ich sage nichts. Vor meinem inneren Auge sehe ich, wie Margaret in ihrem neuen braunen Cape auf diesen duftenden Pfaden zum Meer hinunterwandelt, sie geht immer weiter, entfernt sich immer weiter von mir, bis sie schließlich verschwunden ist.
    »Papa«, sagt Margaret. »Ich hoffe, dass du mich gehen lässt. Es gibt dort jenseits der Bucht eine Insel, zu der wir mit einer kleinen Barke hinübersegeln können, auf der Insel leben Papageientaucher, und ich habe noch nie einen Papageientaucher gesehen.«
    »Oh«, sage ich. »Ich auch nicht.«
    Ich muss wohl bleich geworden sein, denn Margaret sieht mich an und sagt: »Ist dir nicht wohl, Vater? Was ist mit dir?«
    »Gar … nichts …«, stammele ich (wie Hugo Mulholland). »Ich habe nur versucht, mir die Farben des Papageientauchers ins Gedächtnis zu rufen und wie ihre Schwanzfedern beschaffen sind.«
    »Die Vögel sind schwarz und weiß mit einem gelben oder orangefarbenen Schnabel, sagt Penelope, aber was die Schwanzfedern betrifft, da werde ich, wenn du mich nach Cornwall reisen lässt, einige Zeichnungen oder Gemälde für dich anfertigen, und dann wissen wir beide genau, wie sie aussehen.«
    Ich trinke einen Schluck Wein. »Es wird eine große Erleichterung sein«, sage ich, »wenn endlich alle Ungewissheiten über Papageientaucher beseitigt sind!«
    Wir lachen, und ich versuche, mich wieder dem Fleischgericht zu widmen, während ich Margaret erkläre, dass sie selbstverständlich nach Cornwall reisen soll, welches eine der lieblichsten Gegenden ganz Englands sei. Und somit ist es beschlossene Sache. Margaret wird ungefähr zwei Monate fort sein. Und ich höre mich versprechen, dass ich ihr Geld für neue Kleider und einen neuen Pelzkragen geben werde, für den Fall, dass es an Bord der Barke ein wenig windig sei. Und dennoch denke ich unterdessen immerzu – nicht an Margaret, sondern an mich –, und ich sehe das Gespenst eines Todes in Einsamkeit auf mich zukommen, und ich spüre, ohne dass ich es will, schon jetzt seine Bitternis und die langsamen Schauer, die ihn begleiten.
    Am Morgen vor ihrem Aufbruch nach Shottesbrooke – ein kalter Winde wehte an diesem Tag, und ein plötzlicher Hagelsturm verteilte weiße Eiskiesel auf dem gesamten Parkgelände – saß ich mit Margaret in der Bibliothek vor dem Kamin und versuchte, mein Gemüt durch kleine, regelmäßige Schlückchen von einem feinen Alicantewein zu stärken, obgleich ich wusste, dass meine Melancholie kaum zu übersehen war. (Ich habe es mir erst jüngst, nach der Lektüre des französischen Philosophen Michel de Montaigne, zur Gewohnheit gemacht, mich selbst de près anzuschauen, will sagen »aus der Nähe«, indem ich nicht nur nach außen blicke, sondern auch nach innen, auf mein eigenes Verhalten und meine eigenen Reaktionen, um, so das hochgesteckte Ziel, über die Person, die ich bin oder vielleicht werden könnte, einigen Aufschluss zu erlangen.)
    Um mich ein wenig aufzumuntern, versprach Margaret, sie werde mir häufig Briefe aus Cornwall schreiben und darin die Schönheit der verborgenen Buchten schildern, welche die Gezeiten in ihrer ewigen Rastlosigkeit füllen und leeren, und auch die Feinheiten der Muscheln, die sie mit Mary dort sicherlich finden werde.
    »Ach«, sagte ich, »und die Feinheiten der Wracks der Schiffe, die von Piraten angegriffen wurden und dann an den Felsen zerschellten, ebenso wie all die Toten, die an Land gespült wurden …«
    Margaret betrachtete mich mit Sorge, wie eine Mutter, die das Verhalten ihres Kindes enttäuscht.
    »Vater«, sagte sie nach einem kurzen Schweigen, »ich habe über etwas nachgedacht.«
    »Das freut mich«, sagte ich, »denn ein gedankenleerer Geist neigt zu furchtbarem Irrtum.«
    »Pscht! Und spotte einmal nicht.«
    »Wieder die Papageientaucher? Hast du über sie nachgedacht?«
    »Nein. Ich dachte an etwas, das Sir James bei meinem
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