Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Adieu, Sir Merivel

Adieu, Sir Merivel

Titel: Adieu, Sir Merivel
Autoren: Rose Tremain
Vom Netzwerk:
trotz meines geschwollenen Knöchels bei seiner mühseligen Arbeit zu unterstützen. Doch es fiel mir so schwer, mit meinem Fuß überhaupt Druck auszuüben und mich in der aufgewühlten Erde zu bewegen, dass ich ihn in Wahrheit nur behinderte.
    Endlich – es war schon fast dunkel und ein eisiger Stern wurde hinter dem Apfelbaum sichtbar – war das Grab fertig, und wir ließen den Sarg hinab. Und ich spürte, wie mich eine große Erleichterung erfasste: Ich hatte eine Sache ordentlich erledigt. Dann griff ich erneut nach dem Spaten, und wir bedeckten die Kiste mit der schweren Erde des Kirchhofs von Bidnold, und ich erklärte Patchett, welche Worte ich auf einen Grabstein eingravieren lassen würde, und sie lauteten wie folgt:
    William Gates, Esquire
    1609-1685
    Ein unschätzbarer Mensch
    Die klapprige Stute und ich fanden im Mondlicht den Weg zurück zum Haus. Sie war erschöpft und schwitzte vom Ziehen des Karrens, und ich erklärte ihr, wenn wir erst einmal zu Hause seien, würden die Pferdeknechte sie in einen warmen Stall bringen und ihr Heu und Wasser geben. Doch dann fiel mir ein, dass es gar keine Pferdeknechte gab – nur Männer, die in irgendeinem fernen Wirtshaus feierten, sich laut über die Beute freuten, die sie mir gestohlen hatten, und sich zweifellos über mein Unglück lustig machten.
    Die Stallungen aber standen noch, und es gab auch Stroh darin, und ich befreite die arme Stute von dem Karren und führte sie hinein und fand zwischen dem Stroh noch einige Karotten und gab sie ihr und füllte den Eimer mit Wasser aus dem Brunnen und stellte ihn vor sie hin. Ich sah ihr zu, wie sie ein wenig trank, und dann legte sie sich nieder.
    Ebenso müde wie das Pferd und mit Schmerzen im Fuß, die mittlerweile sehr heftig waren, humpelte ich ins Haus, und zu meiner großen Freude brannte ein stattliches Feuer in der Halle. Ich sank auf eine Bank vor dem Kamin, und nach einiger Zeit erschien Tabitha in einem sauberen Kleid mit Schürze, die Haare gewaschen und ordentlich gekämmt, und brachte mir Wein.
    »Oh«, sagte ich, »es überrascht mich, dass überhaupt noch Wein da ist, Tabitha, wenn jeder Tag in diesem Haus so war wie gestern.«
    Sie senkte den Kopf, während sie mir Wein einschenkte. »So war es nicht jeden Tag, Sir Robert, sondern nur, wenn Mr. Cattlebury übermütig wurde und alle Welt einlud.«
    »Da bin ich aber froh.«
    »Es war wirklich nur wenige Male, Sir Robert …«
    »Nun, Gott sei bedankt für kleine Gaben. Und jetzt hol mir bitte Cattlebury, Tabitha, denn wir werden eine ernste Unterhaltung führen müssen. Er wird sicherlich wissen, dass er für all das, was er getan hat, gehängt werden könnte.«
    »Er hat es doch nur getan, weil kein Geld da war, Sir Robert. Einmal sagte er zu mir: ›Menschen, die nichts im Bauch haben, werden sehr schnell zu Tieren.‹ Und ich glaube, er hat Recht. Denn wir waren sehr elend hier. Wenn Mr. Gatesuns doch nur gesagt hätte, wo er das königliche loyer aufbewahrte …«
    »Ich weiß«, sagte ich. »Und dennoch, Tabitha, der Schaden, den ich hier vorfinde, ist sehr groß. Was soll ich mit Cattlebury machen? Ich glaube nicht, dass er noch länger in meinen Diensten bleiben kann.«
    Tabitha bückte sich und legte ein weiteres Scheit ins Feuer. Dann blickte sie zu mir hoch. »Er ist heute gegangen, während Ihr fort wart«, sagte sie, »und wird nie mehr zurückkehren.«
    Ich starrte Tabitha an. Im Geiste sah ich meinen ehemaligen Koch, den ich seit beinahe zwanzig Jahren kannte, plötzlich sehr lebhaft vor mir – ein Ungetüm, das über seinen Feuern wachte, stets bereit zu irgendeiner Meuterei und – bis auf die jüngste Zeit – nie darüber gestürzt, denn Cattlebury hatte keine andere Heimat als Bidnold Manor. Und nun hatte er sich hinaus in die Dunkelheit begeben, und ich hätte nicht voraussagen können, was aus ihm werden würde.
    »Hat er mir irgendeine Nachricht hinterlassen?«, fragte ich.
    »Ja«, sagte Tabitha. »Er bat mich, sie für ihn aufzuschreiben, weil er nicht sehr gut mit seinem Alphabet zurechtkam.«
    »Dann zeig sie mir.«
    Tabitha zog einen Zettel aus ihrer Schürzentasche und gab ihn mir.
    Sir Robert, las ich,
    ich hänge an meinem Leben und werde nicht auf Mouse Hill im Wind schaukeln, nur weil ich mir nahm, was ich brauchte, damit meine Seele nicht meinen Körper verließ.
    Ich sage euch Lebewohl. Ich werde Bidnold immer in meinem Herzen bewahren.
    M. Cattlebury
    Ich las die Botschaft mehrere Male, dann steckte ich sie in
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher