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Adieu, Sir Merivel

Adieu, Sir Merivel

Titel: Adieu, Sir Merivel
Autoren: Rose Tremain
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kümmerte mich nicht.
    Dann machte ich mich auf den Weg zu der ärmlichen Behausung, in der Patchett inmitten seiner Greiskraut-Felder wohnte – jener Mann, der den armen Clarendon mit seiner Donnerbüchse getötet hatte.
    Er zog gerade Rüben aus der harten Erde seines Gemüsebeets, und ich sagte zu ihm: »Patchett, ich brauche dich …«
    Aber anstatt zu protestieren, lächelte er, als er von der grässlichen Arbeit hörte, die ich von ihm verlangte. Er kratzte sich an seinem gewaltigen Schädel und sagte: »Ich wusste doch, dass die Sache zwischen Euch und mir mit dem Tod Eures Bären noch nicht zu Ende war, Sir Robert. Ich wusste, dass eines Tages mehr von mir verlangt würde. Aber dies hier habe ich nicht vorausgesehen.«
    »Wirst du es machen?«, fragte ich.
    Er kratzte sich weiter. Er seufzte, und sein müder Atem verdunstete in der kalten Luft. Er hatte Will und seine Herzensgüte gekannt, also redete ich weiter und erklärte ihm, dass es nicht meinetwegen, sondern seinetwegen geschehe.
    Endlich sagte Patchett: »Ich werde es für Geld machen, Sir Robert. Oder für Fleisch.«
    Ich durchwühlte alle meine Taschen, um zu sehen, wie viel Geld mir noch geblieben war, nachdem ich den Totengräber, den Küster und den Sargschreiner bezahlt hatte, und alles, was ich fand, war ein goldener Sovereign. Ich legte ihn in meine offene Hand, und Patchett starrte ihn ehrfürchtig an.
    »Hier«, sagte ich, »der gehört dir, wenn du Will Gates vor Einbruch der Nacht ordentlich in seinen Sarg gelegt hast.«
    Den Sovereign sicher in der Tasche und das Gesicht mit allerlei Lappen gegen den Gestank und die Ansteckung der Armengrube geschützt, begann Patchett um ein Uhr mit dem Graben. Ich stand neben ihm, um ihn anzutreiben. Ich wusste, dass uns nur noch wenige Stunden mit Tageslicht blieben.
    Ich sagte zu ihm: »Wir werden Will in dieser flachen Grube sehr schnell finden, denn sein Körper wurde in Dachshäute eingewickelt.«
    »Dachshäute?«, sagte Patchett. »Fand denn niemand etwas Besseres, um ihn einzuwickeln?«
    »Nein«, sagte ich. »Das ist sein Leichentuch – die Haut von Tieren.«
    Während Patchetts Spaten sich durch Erde und Kalk wühlte, begann der Gestank des Todes aufzusteigen, und ich musste wieder daran denken, dass ich in dieser einen Sache, dem Geruch des Todes, stets mutiger gewesen war als Pearce und die Anatomiestunden immer gut durchgestanden hatte, während andere Studenten sich erbrachen oder ohnmächtig wurden. Und um Patchett ein wenig von seiner Arbeit abzulenken, begann ich, ihm von den Obduktionen zu erzählen, die ich einst in Cambridge vorgenommen hatte, und ich gestaltete meine Erzählung sehr blutig und anstrengend und aufregend, damit sein Geist sich eher mit diesen lang vergangenen Dingen beschäftigte und nicht mit dem Wühlen in Erde und Knochen.
    Wie ich vorausgesagt hatte, dauerte es nicht lange, bis er auf das schmutzige Pelzbündel stieß, das Will gewesen war. Patchett hob ihn heraus und legte ihn auf das Gras, und ich sah, dass zwischen den Stricken, die das räudige Leichentuch zusammenhielten, zwei oder drei Dachsschnauzen hervorschauten, und diese verdreckten, aber doch traulichen Gesichter minderten ein wenig mein Entsetzen; ich stellte mir vor, diese Tiere würden Will Gesellschaft leisten, so wie ein ausgestopftes Spielzeugtier einem Kind Gesellschaft leistet, und Will die endlos lange Nacht erträglicher machen.
    Ich hätte die Pelze und die Schnauzen sicherlich gewaschen und gebürstet, wenn ich nicht gesehen hätte, dass die Maden schon darin saßen, und vor dem Ausbürsten von Maden schreckte ich zurück. Doch ich ging zu Will, scherte mich nicht um den Gestank und kniete nieder und legte meine Hand dorthin, wo ich sein Gesicht vermutete.
    »Will«, sagte ich, »ich hole dich aus dem Armengrab, denn du warst nie ein Armer, sondern, an Herzensgüte, so reich wie der reichste Mann.«
    Dann hüllten Patchett und ich ihn in das teure wollene Leichentuch und legten ihn in den Sarg, der aus sehr massiver Eiche war, und ich schloss den Deckel und nagelte Will zu, während Patchett ein Grab für ihn zu schaufeln begann.
    Die Grabstelle lag – selbst im Februar – im Sonnenlicht, nur der zarte Schatten eines Apfelbaums fiel auf eine Ecke, und ich dachte: Das ist ein guter Platz.
    Als die Sonne verschwand und es sehr kalt wurde, bekam ich Angst, dass das Grab nicht vor Einbruch der Dunkelheit fertig würde. Also beschaffte ich mir ebenfalls einen Spaten und versuchte, Patchett
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