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Adieu, Sir Merivel

Adieu, Sir Merivel

Titel: Adieu, Sir Merivel
Autoren: Rose Tremain
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meine Tasche, nahm Tabithas Hand in meine und sagte: »Wir alle tragen Bidnold in unserem Herzen, doch es ist vorbei.«
    »Es ist vorbei?«
    »Ja. Ich werde einige kleine Reparaturen vornehmen lassen, an den Fenstern und so weiter, um das Haus sicher zu machen. Danach wird alles, was noch übrig ist, in ein Lagerhaus gebracht, und Bidnold Manor wird geschlossen werden. Ich werde nach London fahren und im Sommer von dort aus in die Schweiz.«
    »Was wird denn aus dem Haus, Sir Robert?«
    »Es wird verkauft werden.«
    »An wen?«
    »Das weiß ich nicht. Und es kümmert mich nicht. Einst habe ich es ganz und gar in Ordnung gebracht, Tabitha, in jedem Zimmer meine eigenen wilden Wunder geschaffen – mit scharlachfarbenem Brokat und goldenen Baldachinen und karmesinroten Quasten, und meinem Freund John Pearce blieb darüber fast das Herz stehen. Ich war Feuer und Flamme für mein Unterfangen. Ich konnte kaum schlafen vor Aufregung, als ich den Teppich aus Chengchow entdeckte! Bidnold Manor ist das einzige Haus, das ich jemals besessen habe. Ich verlor es einmal, und dann wurde es mir wieder übereignet, und ich liebe es seit jeher. Margaret hat gehofft, hier zu heiraten. Aber ich werde sie enttäuschen müssen, denn mir ist nicht danach zumute, es erneut in Ordnung zu bringen. Es muss nun ohne Merivel auskommen.«
    »Das tut mir sehr leid, Sir Robert«, sagte Tabitha.
    »Ja«, sagte ich. »Mir tut es auch leid. Aber alle Dinge kommen irgendwann einmal an ein Ende.«
    Ein langes Schweigen senkte sich über die Halle. Dann sagte Tabitha leise und schüchtern: »Was wird denn aus mir? Schickt Ihr mich auch hinaus in die Dunkelheit?«
    »Nein«, sagte ich. »Denn ich habe nie vergessen und werde auch nicht vergessen, was du für Margaret getan hast.Morgen werde ich mit dem Wagen zu Lady Prideaux fahren und sie bitten, dass sie dich in ihre Dienste nimmt. Würde dir das gefallen?«
    »Ja, Sir. Wenn sie mich nimmt …«
    »Sie wird dich nehmen. Und dann wirst du mit der Familie im Sommer nach Cornwall fahren?«
    »Ja …«
    »Sehr schön. Es gibt dort Papageientaucher, und das sind Vögel, die ich noch nie gesehen habe, aber ich verspreche dir, dass du sie sehen wirst.«
    Ich schlief lange und erwachte kurz vor Morgengrauen und wusste sofort beim Aufwachen, wo Will das loyer des Königs aufbewahrte – an einer Stelle, wo niemand es gesucht hätte.
    Darum stand ich auf, zog meinen Morgenmantel an, nahm eine Kerze und meinen Gehstock und begab mich still und humpelnd in das weiße Zimmer im Westturm – jenes Zimmer, in dem einst mein gesamtes Leben stattgefunden hatte.
    Es war völlig leer, bis auf einen kleinen türkischen Teppich und einen einzigen Sessel; in ihm hatte ich gern gesessen und die Veränderungen des Himmels beobachtet und dem Wind zugehört und das Gefühl gehabt, ich befände mich über der Welt, triebe aber, wie eine Wolke, dennoch inmitten seiner Schönheit. Nur Will wusste, dass ich manchmal noch hierherkam.
    Ich setzte die Kerze ab. In den vier großen Turmfenstern gen Norden, Süden, Osten und Westen wurde das Licht heller, und ich sah, dass der Tag schön würde.
    Ich kniete mich auf den Boden, rückte den Sessel von seiner gewohnten Stelle und rollte den Teppich auf. Und genau wie ich vermutet hatte, lag unter einem Brett, das zu diesem Zweck eingepasst worden war, die lederne Tasche, in der Will stets unsere jährlichen Rechnungen aufbewahrt hatte. Und, versteckt zwischen den Papieren, lag eine große Menge des königlichen Golds.
    Ich berührte die Sovereigns kaum, sondern blieb auf meinen Knien liegen und bestaunte ihren hartnäckigen Glanz. Dann entdeckte ich, dass Will noch etwas anderes unter dem Fußbodenbrett versteckt hatte.
    Ich griff danach und zog es heraus und sah, dass es mein Buch war (die Geschichte meines Lebens, die ich Der Keil genannt hatte), das sechzehn Jahre lang unter meiner Matratze gelegen hatte und jetzt, eingezwängt in dieses neue Versteck, mehr denn je zerknittert und zerrissen und mit Staub und Mäusedreck beschmutzt war. Und doch dankte ich Will dafür, dass er es in Sicherheit gebracht hatte. Nun, da mir so viel anderes genommen worden war, freute ich mich, dass dieser kleine Bericht über mein Leben, so zerfleddert er auch sein mochte, noch existierte.
    Ich setzte mich in den Sessel und begann zu lesen. Ich las, dass ich mich im ersten Satz als »einen sehr unordentlichen Mann« mit einem dicken Bauch und einer missgestalteten Nase beschrieben hatte, und darüber musste
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