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Abgang ist allerwärts

Abgang ist allerwärts

Titel: Abgang ist allerwärts
Autoren: R Kuhnert
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ihrer Strecke und so kamen wir ab und zu ins Gespräch. Aber wenn ich sie ins Haus bitten wollte, hatte sie jedes Mal abgelehnt, schließlich sei sie ja im Dienst. Sie liebte es, vor allem über die Zeit vor Pommerenke zu sprechen, als der Graf und die Gräfin von Ottenstedt noch im neuerbauten Schloss wohnten und es noch richtig vornehm auf dem Gut zuging, wie sie sich ausdrückte. Bis zu dieser tragischen Geschichte mit der Gräfin. Aber davon sollte ich erst später erfahren. An diesem Freitag war Edda Pommerenke allerdings ohne Tasche nur mit dem Fahrrad zu mir gekommen, um mich an das einzige erreichbare Telefon im Dorf, in ihrer Poststelle zu rufen.
    »Ein dringender Anruf aus Berlin«, wie sie noch etwas atemlos gesagt hatte. Die Nummer, die sie notiert hatte, bedeutete mit ziemlicher Sicherheit Ärger. Ein dringender Anruf des Fernsehens konnte nur heißen, dass wieder einmal etwas nicht ging. Als sie auf der Dorfstraße vor mir her radelte, bemerkte ich, dass sie hochhackige schwarze Schuhe trug, und anstelle der Uniform ein neues dunkelblaues Kostüm, und dass ihr Haar eine im Fahrtwind hin und her wogende Dauerwelle erhalten hatte, die in frischer Farbe leuchtete. Im kleinen Postbüro angekommen, bot Edda mir wie stets selbstgebackene Kekse aus einer mit Rosen bemalten Blechdose an, die zwischen dem riesigen Datumsstempel und einer Briefwaage stand. Heute holte sie sogar eine Flasche Rhabarberwein aus ihrem Hinterzimmer, denn es gäbe etwas zu feiern, wie sie sagte. Deshalb also die Hochhackigen, das Kostüm und die leuchtende Dauerwelle. Ich hörte ihr gern zu, aber erst wollte ich den Anruf hinter mich bringen. Ich wählte die Nummer und die Stimme des Dramaturgen am anderen Ende der Leitung klang wie das blanke Elend. Einige meiner Geschichten für Schauspieler wären zu grotesk, zu satirisch, das ginge auf keinen Fall, jedenfalls nicht im Fernsehen.
    Als würde es nur Feiglinge, Opportunisten und Kriecher in unserer Republik geben, fügte der Mann mit hörbarem Vorwurf hinzu. Er werde sich meinetwegen jedenfalls keine Läuse in den Pelz setzen. Bei meinem Talent werde mir doch sicher eine Geschichte einfallen, die etwas positiver ist. So ginge das jedenfalls nicht. Ich sei doch zurzeit wieder auf dem Lande, vielleicht bekäme ich da etwas Abstand und würde das Ganze noch einmal überdenken können. Er warte jedenfalls auf meine Vorschläge.
    Noch ehe ich darauf antworten konnte, dass es in einer Satire schon aufgrund des Genres keine positiven Helden gebe, hatte der wachsame Kulturverwalter bereits aufgelegt.
    Abstand! Als ob die räumliche Distanz zu den Fernsehbüros etwas an der Tatsache ändern würde, dass meine Figuren ganz bewusst eben keine schönen Menschen in schöner Landschaft waren. Ich hatte diesen Satz aus Majakowskis Schwitzbad schon öfter benutzt, um mich der immer wiederkehrenden Forderung nach glatt gehobelten Wunschfiguren zu entziehen.
    »War wohl was nicht Nettes, Herr Effert?«, fragte Edda Pommerenke vorsichtig.
    »Im Grunde nichts Neues«, erwiderte ich und versuchte zu lächeln.
    Dann entdeckte ich die golden schimmernde Medaille an ihrer dunkelblauen Jacke, eine Auszeichnung. Ich deutete auf den Orden und sagte anerkennend: »Donnerwetter! Herzlichen Glückwunsch! Den haben Sie sicher mehr als verdient.«
    Sie winkte verlegen ab: »Na ja, gestern in der Kreisstadt sind Vierzig ausgezeichnet worden. Ich war ganz schön aufgeregt. Wenn man so plötzlich im Mittelpunkt steht. Ein bisschen war es wie damals beim Grafen, wenn einer Geburtstag hatte.« Und damit war die frisch ausgezeichnete Postfrau Edda Pommerenke wieder bei ihrem Lieblingsthema gelandet. Sie blickte nachdenklich lächelnd durch das kleine verwitterte Fenster des Postbüros auf die andere Straßenseite, wo noch immer das neue Schloss stand, leer inzwischen, mit schadhaftem Dach und zerschlagenen Fensterscheiben, von Feuchtigkeit und Gleichgültigkeit langsam zerfressen. Ein Schicksal, das ja auch meinem Haus gedroht hatte.
    »Ich erinnere mich noch genau«, Edda Pommerenkes Stimme veränderte sich und bekam einen schwärmerischen Tonfall.
    »Ich war das erste Jahr in Stellung bei den von Ottenstedts.
    Ich wurde vom Kammerdiener Kollmann aus der Küche geholt, die Köchin band mir eine frisch gestärkte weiße Schürze um und zeigte mir, wie ich mein Kleid mit beiden Händen halten sollte, wenn ich meinen Knicks machte, und dann wurde ich vom alten Kollmann nach oben in den Empfangssalon geführt. Eine Tür nach
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