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Abgang ist allerwärts

Abgang ist allerwärts

Titel: Abgang ist allerwärts
Autoren: R Kuhnert
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einzelne Stück einen – wenn auch eher symbolischen – Preis zu zahlen, hatte sich wie ein Lauffeuer im Dorf verbreitet und überall nur Kopfschütteln oder ein mitleidiges Lächeln hervorgerufen. Mein bescheiden möbliertes Haus zierten von nun an ein paar Prachtstücke, die von meinen gelegentlichen Besuchern aus der Stadt mit Bewunderung gewürdigt wurden.
    Was ich dafür bezahlt hatte, verschwieg ich; einerseits, um keinen Neid hervorzurufen, andererseits, um die Dorfbewohner nicht wie Deppen dastehen zu lassen. Denn wie hätte ich erklären sollen, dass dieser Sonderpreis zwischen mir und ihnen Gründe hatte, die nichts mit dem Geldwert der Möbel zu tun hatten.
    Trafen sich die Männer in der Kneipe, um das für sie Wichtige zu besprechen, so versammelten sich die Frauen, ganz gleich welchen Alters, auf dem Dorfanger zwischen dem alten und dem neuen Schloss, um Neuigkeiten auszutauschen. Da standen sie in ihren bunten Kittelschürzen, unter denen da und dort die rosa oder hellblauen Unterröcke hervor sahen, und besprachen, was in keiner Zeitung zu lesen war. An diesem frostigen Wintertag ging es um Norbert, denn diesmal war er wohl wirklich am Ende, obwohl sie alle gedacht hatten, dass er eine Ausnahme sei, schon immer ein bisschen verrückt, aber mit seinen fünfundzwanzig Jahren nun schon zum dritten Mal im Kreiskrankenhaus am Tropf, weil ihn der Schnaps doch wieder geschafft hatte.
    Norberts Mutter Erna, eine früh gealterte Frau mit von Wasser geschwollenen Beinen, weinte still und durch die Tränen wurden ihre wasserblauen Augen noch heller. Neun Kinder hatte sie geboren, sechs waren ihr geblieben und Norbert war ihr jüngster.
    »Er hat es mir versprochen«, sagte sie schluchzend mit leiser Stimme, »nie wieder einen Tropfen und, er hat ja auch Wort gehalten, ein paar Monate, aber er ist nun mal so schwach, obwohl er ein guter Junge ist, aber er hat eben schon immer Pech gehabt.«
    Die Frauen nickten zustimmend, obwohl das, was die unglückliche Erna als Pech bezeichnete, im Dorf ganz anders genannt wurde.
    Schwein hat er gehabt, dass sie ihn nur für eine Zeit in die Klapsmühle gesteckt haben, damals, als er gelernt hatte, in Mecklenburg, da konnte einer ganz woanders hinkommen, wenn er das Bild vom Staatsratsvorsitzenden von der Wand nimmt und draufpisst. Da hilft auch nicht, wenn du besoffen bist, und besoffen war Norbert, da würde jeder im Dorf einen Eid drauf schwören. Auch das hatte ich von Gottfried dem Maurer erfahren. Aber im Laufe der Zeit hörte ich noch so einiges über Norbert. Er hätte eben schon immer auf seine Art Schwein gehabt, hieß es, denn als er zur Armee musste, sah er in seinen Unteroffizieren und Offizieren immer die Pfleger aus der Nervenheilanstalt. Jedenfalls hatte er das solange behauptet, bis er vorzeitig entlassen worden war. Der einzige, der sich deshalb Sorgen gemacht hatte, war Norberts Vater gewesen. Er fürchtete, der Vorsitzende der Genossenschaft könne es ihm übel ankreiden, dass sich sein Sohn schon dumm gesoffen hatte, denn es war ja für alle klar, dass Norbert nur trank, weil sein Vater schon immer getrunken hatte. Das war die einfachste Erklärung und deshalb auch die beste. Für Erna war nur eines wichtig, dass Norbert nicht wie ihre anderen Söhne achtzehn Monate weit von zu Hause in einer Uniform steckte, in der alle so fremd aussahen. Für sie war es ein Geschenk des Himmels gewesen, dass er schon nach zehn Wochen wieder in sein Heimatdorf zurückkehrt war.
    Seitdem waren schon einige Jahre vergangen und Norbert arbeitete im neuerbauten Schweinestall, wo in immer kleineren Buchten immer längere Schweine gezüchtet wurden, wegen der Anzahl der Koteletts, wie ich einmal von Rudi, dem Schweinemeister, erfahren hatte.
    Norbert wohnte weiter bei seinen Eltern, trank sein Bier und seinen Schluck , diesen grünen Pfefferminzlikör, den sie Pfeffi nannten, von Jahr zu Jahr wurde es mehr, so dass er manchen Morgen den Schweinestall verschlief, aber es gab eben zu wenig Leute, um ihn deshalb entlassen zu können, und wo hätte er auch hingehen sollen? Oft fuhr er in Richtung des ehemals gräflichen Waldes. Auf einem alten schwarzen Fahrrad – das hatte der Vater in der großen Nachbarstadt gekauft, als die noch Stettin hieß und nicht jenseits der Grenze lag. Er trug immer einen dunkelbraunen Filzhut mit breiter Krempe auf dem Kopf. Aus den großen aufgesetzten Taschen seiner blauen Arbeitsjacke ragten stets die Hälse einiger Bierflaschen, und er hatte
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