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Abgang ist allerwärts

Abgang ist allerwärts

Titel: Abgang ist allerwärts
Autoren: R Kuhnert
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waren, und ich fragte mich, wie lange es dauern würde, bis sie das Schicksal des Kuhstalls teilten, und was den neuen Herrn des Gutes dann noch halten würde? Wäre damit der unwiderrufliche Schlussstrich unter eine vergangene Zeit gezogen, die nach dem Ende des zweiten großen Krieges hier in diesem Winkel über Jahrzehnte konserviert worden war und die weit ins neunzehnte Jahrhundert zurückreichte? Diesmal sah ich mich um, als ich am Dorfeingang in die Fernstraße einbog, und stellte fest, wie der Schein trügen konnte: Was mir da heute begegnet war, hatte mit dem Hohenfeld, das ich einst kannte, nur noch wenig zu tun, auch wenn es von der Landstraße aussah wie immer.
XXXI.
    M ein Besuch im Dorf war wichtig gewesen, es schien, als könne ich nun das Kapitel Hohenfeld endlich schließen. Ja, es war wirklich ein anderes Leben gewesen, das war mir noch einmal deutlich vor Augen geführt worden. Die Beklommenheit, die ich auf der Hinfahrt empfunden hatte, war einer heiteren Gelassenheit gewichen. Ich würde Gisbert sagen, dass die Menschen und das Haus in Hohenfeld nun endgültig Vergangenheit für mich sein würden. Und dass ich unter alles einen Schlussstrich ziehen könne.
    Der Abend im Haus am See verlief entspannt. Es war nicht nur bei einer Flasche Rotwein geblieben. Ich erfuhr von Gisbert, dass in den letzten Jahren in den Grenzdörfern auf deutscher Seite immer mehr Häuser von Polen gekauft wurden. »Übrigens auch das Haus in Hohenfeld, wo früher de Kneip ´ drin war«, hatte Hildegard hinzugefügt. Ich zuckte die Achseln. »Besser als wenn sie verfallen. Ob nun von jenseits der Elbe oder von jenseits der Oder.«
    Gisbert wiegte den Kopf hin und her. »Ich fürchte nur, das wird böses Blut geben. Die Leute von hier fühlen sich wieder wie Menschen zweiter Klasse.«
    Daran wird sich nie etwas ändern, solange sie die Schuld immer bei den anderen suchen, hätte ich antworten können, aber ich wollte nicht den Moralapostel spielen, im Grunde hatte ich auch kein Recht dazu. Am nächsten Morgen wachte ich mit einem ziemlich schweren Kopf auf. Ich wälzte mich mühsam aus dem Bett, schluckte zwei Tabletten gegen das Hämmern im Schädel und stellte mich unter die Dusche. Als ich die Zahnbürste aus meiner Jacketttasche nahm, hörte ich wie Gisberts Wagen in hohem Tempo das Grundstück verließ. Wahrscheinlich wieder ein Unfall, dachte ich. Wie hatte Gisbert gestern Abend gesagt: »Jetzt fahren sie nicht mehr mit fünfzig Sachen und ihrem Moped an den Baum, sondern mit hundert und ihren nicht mehr ganz neuen japanischen Autos, die sie noch nicht mal abbezahlt haben.«
    Ich zog mich an und ging vom Gästezimmer im Souterrain die Treppe zur Küche hinauf.
    Oben erwartete mich Hildegard. Es war deutlich zu spüren, dass sie aufgeregt war. Auf mein noch etwas verkatertes Guten Morgen antwortete sie nicht, sondern entgegnete nur kurz: »Die Feuerwehr hat Gisbert nach Hohenfeld gerufen. Das Schloss hat letzte Nacht gebrannt. Es hat Stunden gedauert, bis sie das Feuer unter Kontrolle hatten. Gisbert soll für alle Fälle an Ort und Stelle sein, falls jemand in den Trümmern gefunden wird.«
    »Weiß man schon, warum es gebrannt hat?« Obwohl ich fragte, glaubte ich die Antwort schon zu kennen.
    »Der neue Gutsherr war nicht da. Das Schloss war angeblich leer. Aber gebrannt hat es an drei Stellen gleichzeitig, haben sie zu Gisbert gesagt, verstehst du? Hast du dir den Schlussstrich unter das Kapitel Hohenfeld so vorgestellt?«
    »Es klingt vielleicht verrückt, aber überrascht bin ich nicht.« Ich blickte aus dem Fenster. Hildegard sah mich erstaunt an und fuhr zögernd fort: »Das Ende von Schloss Hohenfeld ist es auf jeden Fall.« Ich nickte und musste an meinen Traum denken, der im Grunde den letzten Anstoß gegeben hatte, Hohenfeld nach so vielen Jahren wieder aufzusuchen. Mein Albtraum hatte sich bewahrheitet. Jetzt stimmte Georg Büchner wieder.
    Hildegard goss mir Kaffee in eine Tasse mit der am heutigen Tagesbeginn höchst unpassenden Aufschrift »Morgenstund´ hat Gold im Mund«. Dann fragte sie mich: »Willst du rüberfahren und es dir ansehen?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Mich interessieren nicht die rauchenden Trümmer, sondern die, die das Feuer gelegt haben.«
    »Was meinst du, wer es war?«, wollte Hildegard wissen.
    Was hatte Rudi gestern zu mir gesagt? »Wir brauchen den hier nich, nich so einen…«
    Ich wusste nicht, ob Hildegard jemanden in Verdacht hatte – vielleicht sogar Tango –, aber wer
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