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Abgang ist allerwärts

Abgang ist allerwärts

Titel: Abgang ist allerwärts
Autoren: R Kuhnert
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wie das des bunt geflochtenen Korbsessels, auf dem ich durch das Fenster bis zu der kleinen Dorfkirche hinunter sehen konnte. Rudi lief eilig die Straße entlang in Richtung Schloss, wahrscheinlich wollte er in den kleinen Laden, der kurz über lang auch würde ausziehen müssen, denn durch das Dach des ehemaligen Herrenhauses regnete es inzwischen auch in dem Flügel durch, in dem sich der Konsum befand. Edda tauchte am Ende der Dorfstraße auf. Sie schob ihr Fahrrad mit der schweren schwarzen Ledertasche, in der sich die Post von heute befand. Sie winkte Rudi zu, der etwas zu ihr hinüber rief. Ich trank meinen Rotwein aus, stellte Glas und Flasche auf das Fensterbrett, sah auf die Uhr und ging in die Küche.
    Dort legte ich die Schlüssel wie vereinbart auf den weißen Tisch, griff mir meine Reisetasche und trat vor das Haus.
    Es hatte keinen Sinn, noch ein oder zwei Stunden zu warten, im Gegenteil, je länger ich noch im Haus blieb, desto schwerer würde mir der Abschied fallen. Ein letztes Mal zog ich die schwere Eichentür hinter mir zu. Ich warf meine Reisetasche auf den Rücksitz, stieg in den Wagen und fuhr langsam los. Ehe es sich im Dorf herumgesprochen haben würde, wäre ich schon über alle Berge. Also schleichst du dich doch klammheimlich davon, schoss es mir durch den Kopf. Aber wieder einmal hatte ich die Rechnung ohne die Leute im Dorf gemacht. Während ich langsam die holprige Straße hinunter fuhr, öffnete sich rechts und links das eine oder das andere Fenster, aus dem mir zögernd zugewinkt wurde, manchmal bewegte sich auch nur eine Gardine. Aus der Kneipentür kamen Joneleit, Enrico, und Erwin gelaufen. Gottfried folgte ihnen etwas zögernd. Hinter einem Fenster der Kneipe sah ich Rudi stehen. Jetzt war mir alles klar. Zögernd stieg ich aus dem Wagen und ging einige Schritte auf sie zu. Enrico ergriff als Erster das Wort: »Halt die Ohren steif, Flüchtling! Und das andere auch, du weißt schon.« Er streckte mir grinsend seine Hand entgegen.
    »Vielleicht trinkst du da drieben einen auf unser Wohl, jeiebt hast du ja hier schon! Einen fier jeden von uns. Am besten so franzesischen Konnjack!« Joneleit klopfte dreimal mit der flachen Hand auf das Autodach. Gottfried sagte nichts und kaute nur auf seinem 25-Pfennig-Stumpen herum. Hatte er erwartet, dass ich mich auch von ihm persönlich verabschiede? Immerhin hatte er mir seinerzeit den ersten Rat in Bezug auf das Haus gegeben, auch wenn ich ihn nicht befolgt hatte. Von ihm hatte ich Vieles von dem erfahren, was über die Jahre mein Bild von Hohenfeld geprägt hatte. Und er hatte mit Maurerkelle, Mörtel und Steinen entscheidend dazu beigetragen, dass das halbverfallene Wrack am Ende des Dorfes inzwischen wieder dem ähnelte, was es einmal gewesen war. Ich spürte, wie sich mein schlechtes Gewissen meldete, als ich Gottfried wortlos ansah und dessen müde Augen, um die sich unzählige Falten drängten, zum letzten Mal wahrnahm. Erwin hatte seine blaue Mütze gezogen und knetete sie in den Händen. »Machs jut, und verjiss uns nicht.« Er wischte sich mit der Mütze über die Augen. »Ich bin ja nicht aus der Welt.« Ich versuchte zu lächeln. »Aus unserer schon«, murmelte Gottfried und gab mir zögernd die Hand, wobei er es vermied, mich anzusehen, dann drehte er sich um und ging mit schweren Schritten zurück zur Kneipe. Und mir fiel in dem Moment nichts anderes ein, als der in dieser Situation ziemlich idiotische Satz: »Es tut mir leid«. Die anderen folgten Gottfried im Gänsemarsch. Joneleit schon wieder leicht schwankend, fing an zu singen: »Eines Morjens in aller Friehe, Bella Tschau, Bella Tschau, Bella Tschau, tschau, tschau, eines Morjens in aller Friehe…«
    Ich sah ihnen hinterher, wie sie auf den Eingang der Kneipe zuliefen, als wollte ich das Bild für immer im Gedächtnis behalten. Keiner von ihnen drehte sich noch einmal um. Wie benommen stieg ich zurück in den Wagen, ließ den Motor an und zwei Minuten später war ich schon auf der Landstraße in Richtung Autobahn.
    Auch ich hatte es vermieden, mich noch einmal nach dem Dorf umzusehen, gab es doch in alten Legenden genügend Warnungen, sich nicht noch einmal umzudrehen, wenn man einen geliebten Ort für immer verließ.
    Nach meinem Abschied auf dem Lande, lief alles wie am Schnürchen. Das Machtwort aus der obersten Etage beseitigte alle möglichen Hindernisse. Und so erlebte ich zum ersten Mal, dass das absolutistische Herrschaftsprinzip L´état c´est moi! in manchen
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