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Abgang ist allerwärts

Abgang ist allerwärts

Titel: Abgang ist allerwärts
Autoren: R Kuhnert
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Schloss hat wenigstens ein neues Dach, sonst wär es wahrscheinlich zusammengefallen. Na, das kennst du ja. Weißt du übrigens, wer jetzt in deinem Haus wohnt?«
    Ich nickte. »Der Doktor hat es mir erzählt.«
    »Nachdem du weg warst, haben wir kurz drin gewohnt, wir haben´s versucht, Elias. Es ging nich. Ich hab´s dir damals schon gesagt. Es war dein Haus, da hatten wir nichts drin zu suchen, das haben sie uns deutlich spüren lassen, im Dorf. Ich hab´s dann an die Gemeinde gegeben und jetzt wohnt eben der Norbert drin. Arbeit hat er nich. Macht mal hier und mal da was. Aber an der Flasche hängt er immer noch, obwohl er ja plötzlich drei Kinder und ´ne Frau hat.«
    »Ich hab davon gehört«, sagte ich und wechselte dann das Thema. »Gibt es Gottfried noch?« Ich hatte mir vorgenommen, ihn unbedingt zu besuchen.
    »Der wohnt jetzt in der Kreisstadt, seine Frau is auch schon seit Jahren tot. Hat Glück gehabt, sein Haus hat einer aus Berlin gekauft. Kommt dir das nich bekannt vor.« Er lachte leise und zeigte dann auf einen lang gestreckten halbverfallenen Bau, auf dem es schon kein Dach mehr gab.
    »Erinnerst du dich? Das war mal der Kuhstall. Kühe gibt´s hier schon seit Jahren nich mehr und Schweine auch nich. Und nich mehr lange, dann sind wir auch verschwunden.« Er sagte es ohne jeden Anflug von Sentimentalität. Ich erinnerte mich, dass sich der Kuhstall ja schon damals in einem recht traurigen baulichen Zustand befunden hatte, verwittertes Grau, abblätternder Putz, einige fehlende Dachziegel. Nur wenn sich der Mai ankündigte, waren jedes Jahr einige russische Soldaten mit einem großen Kübel Farbe erschienen und hatten die Kuhstallwand, die der Straße zugewandt war, und den Betonobelisken des Ehrenmals blütenweiß gestrichen. Den Offizieren der Sowjetischen Armee, die zum Feiertag der Befreiung in das kleine Dorf kamen, um einmal im Jahr mit einem militärischen Zeremoniell den Sieg über Hitlers Deutschland zu feiern, sollte der Anblick des Verfalls erspart bleiben. Ich nannte die für den Feiertag geweißte Seite des Stalls damals die Potemkinsche Wand . Inzwischen waren wir an meinem Auto angelangt. »Hast ja ´n schicken Wagen. Der Typ aus Lübeck fährt auch so einen, bloß größer, aber sonst habt Ihr keine Ähnlichkeit.« Auf seinem Gesicht zeigte sich der Anflug eines Lächelns.
    »Nee, das war damals schon anders, mit dir und dem Dorf.
    Du hast in das Haus gepasst; für diesen Bankheini aus Lübeck ist das Schloss ein paar Nummern zu groß, wenn du mich fragst.
    Bloss´n Haufen Geld macht noch lange keinen Grafen. Da gehört schon ´n bisschen mehr dazu. Wenn der so wild drauf is, den Herren zu spielen, warum macht er´s denn nich im Westen, wir brauchen den hier nich. Nich so einen. Aber diese Typen sind ja dickfellig, na ja, wir werden sehen…«
    Ich hatte keine Lust, in dieses Horn zu stoßen, deshalb fragte ich ihn. »Wie geht´s Enrico?« Die Frage sollte unbefangen klingen.
    »Tango? Der hat ´ne Weile für den neuen Schlossherrn gearbeitet, war wieder richtig oben auf. Und dann hat der ihn plötzlich gefeuert. Von einem Tag zum andern. Frag mich nich, warum.
    Er will sein Häuschen verkaufen und dann auch rüber machen, und da Arbeit suchen, sagt er. Und du? Wirst du wieder mal vorbeikommen?«
    »Ich denke schon.« Zögernd und gab ich ihm die Hand.
    »Dann warte nich wieder so lange, sonst musst du nur noch auf den Friedhof gehen, um uns alle zu besuchen. Du weißt ja…«
    »…Abgang ist allerwärts«, beendete ich den Satz.
    »Is ja doch was hängen geblieben von damals.«
    Rudi lächelte müde und kniff die Augen zusammen, dann wendete er sich zum Gehen. Ein alter, gebeugter Mann, dem das Rheuma in den Knochen saß, und für den die Welt nun auf dem Kopf stand, sogar hier in diesem kleinen Dorf unweit der Oder. Was hätte es für einen Sinn gehabt, ausgerechnet ihn nach der Prämienjagd auf Flüchtlinge im letzten Mauersommer zu fragen? Hätte ich beweisen wollen, dass unter all den selbsternannten Opfern des gewendeten Landes sehr wohl auch die Täter zu finden waren?
    Musste ich ihnen nicht vielmehr dankbar sein, dass sie mich am Ende ent-täuscht hatten? Denn war es nicht eine bequeme Selbsttäuschung gewesen, Hohenfeld als Biotop zu behaupten, in dem die blaue Blume wuchs? Ich fuhr auf dem unebenen Kopfsteinpflaster entlang, vorbei an den lang gestreckten Häusern, die sich noch immer an den Straßenrand drückten, und von denen nun inzwischen schon so viele ohne Leben
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