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Abgang ist allerwärts

Abgang ist allerwärts

Titel: Abgang ist allerwärts
Autoren: R Kuhnert
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großen Saal mit der schadhaften Stuckdecke und den ausgeblichenen Seidentapeten stand nur ein alter Schreibtisch, dessen Furnieroberfläche durch die Feuchtigkeit an vielen Stellen Blasen geworfen hatte, dazu ein hölzerner Klappstuhl, eine schwarze Tischlampe, mit entfernter Verwandtschaft zum Bauhaus, ein Garderobenständer, dessen wenige Farbreste zeigten, dass er einmal weiß gewesen war und zwei spanische Wände, die notdürftig einen gynäkologischen Untersuchungsstuhl verdecken sollten. Das Ganze machte auf mich eher den Eindruck eines Bühnenbildes, als den eines Behandlungszimmers.
    Über dem Haupteingang des Schlosses war in Stein gehauen noch immer das Wappen der von Ottenstedts zu sehen, wie ein immerwährendes Symbol der alten Zeit. Darüber hatte jemand als Zeichen der neuen Zeit ein schiefes Holzschild genagelt, dessen Buchstaben des Wortes Konsum in verblasster roter Farbe schon langsam abblätterten, so dass nur noch die Silbe - sum wirklich zu lesen war.
    Und es gab noch etwas, das den einen oder anderen im Dorf mit dem gräflichen Schloss verband. Als die Rote Armee einige Monate nach dem Kriegsende aus dem kleinen Dorf Richtung Westen abgezogen war, hatte das Herrenhaus für ein paar Wochen leer gestanden. Geblieben waren in einigen Zimmern nur die Möbel, die von den Siegern nicht mitgenommen worden waren. Die verbliebene gräfliche Familie wohnte inzwischen bereits in einer der Westzonen und die Möbel des Schlosses waren – ähnlich wie die Dorfbewohner – herrenlos zurückgeblieben.
    Also wanderte innerhalb weniger Tage das eine oder andere Möbelstück im Schutze der Dunkelheit aus dem gräflichen Herrensitz in verschiedene Gutsarbeiterhäuser des Dorfes. Niemand hatte seinerzeit daran Anstoß genommen, und der Möbelklau war inzwischen ohnehin längst verjährt.
    Als ich eines Abends im Kreise der Männer in der Kneipe saß – ich hatte das lokale Pokalangeln mit sieben großen Karauschen und fünf Schleien gewonnen und war damit der Held des Tages gewesen –, hatte Joneleit, der Traktorfahrer, zwischen zwei Runden Bier wie nebenbei gefragt, ob ich denn genügend Möbel in meinem Riesenhaus hätte. Ich wusste zuerst nicht, worauf er hinaus wollte. Joneleit fuhr fort, und sah sich grinsend in der Runde um. »Ich meine, in so ein altes Haus jeheren doch auch alte Mebel oder so. Ich hätte da so´ne Art Korbsessel, steht bei mir im Stall, mindestens sechzig Jahre alt. Jetzt hocken da bloß die Hiehner drauf. Den kenntest du haben.«
    Ich sah den Traktoristen zweifelnd an und meinte dann scherzhaft: »Könnte auch einer, der schwerer als ein Huhn ist auf dem Ding noch sitzen, oder bricht der dann zusammen?«
    »Nee, nee, Jungchen, auf dem Korbstuhl hat mal ein jräflicher Hintern jesessen, im Schloss, und da haben sie auf Qualität Wert gelegt. Das is mal sicher. Der Doktor hat iebrigens auch so einen.« Joneleit nickte bedeutungsvoll und nahm einen großen Schluck aus seinem Bierglas.
    Jetzt erinnerte ich mich an den aus verschieden farbigem Rohr kunstvoll geflochtenen Armsessel mit hoher Lehne, der in Gisberts Haus einen Ehrenplatz hatte.
    »Was soll er denn kosten?«, fragte ich vorsichtig.
    »Dat olle Ding? Drei Rubel sechzig und´n alten Schlips.« Joneleit lachte kurz auf. »Quatsch, kauf mir ´ne Flasche Braunen und er jehert dir.«
    Jetzt mischte sich Erwin ein. Er hätte auf dem Boden noch so einen runden, rotbraunen Tisch mit einem gedrechselten Mittelfuß, sein Vater hätte den aus dem Schloss vor den Russen gerettet.
    Jetzt würde er nur als Unterlage dienen, wenn er mal was lötet, aber da fände sich sicher auch was anderes. So´n Tisch würde bestimmt gut in mein Haus passen, so alt, wie der ist. Wolfgang, der Kneipenwirt, der hinter dem Tresen das Gespräch verfolgt hatte, bot mir schließlich eine eichene Bauerntruhe an, in der seine Mutter das Hühnerfutter aufbewahrte.
    Als ich überrascht von dem plötzlichen Angebot vorsichtig fragte, ob sich denn nie einer nach dem Verbleib der Schlossmöbel erkundigt hätte, kniff Joneleit ein Auge zu und sagte erneut grinsend diesen Satz, den ich schon einige Male gehört hatte: Abgang ist allerwärts , und die anderen am Tisch nickten zustimmend. Also bestellte ich noch eine Runde Bier und eine Lage Schnaps und der Handel war besiegelt. Ein paar Tage später war ich der Eigentümer einiger sehr unterschiedlicher Möbelstücke, die einst aus dem gräflichen Schloss gerettet worden waren. Dass ich darauf bestanden hatte, für jedes
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