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Abgang ist allerwärts

Abgang ist allerwärts

Titel: Abgang ist allerwärts
Autoren: R Kuhnert
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immer einen geflochtenen Weidenkorb bei sich. Denn Norbert fuhr nie in den Wald, ohne etwas mitzubringen, das ganze Jahr über: wilden Spargel, Pilze, Waldbeeren oder Brennholz. Manchmal auch eine Karausche oder eine Schleie aus einem der unzähligen kleinen Bruchgewässer, und im Dorf kursierten die wüstesten Gerüchte, wie er das mit dem Fang der Fische ohne Angelrute anstellte. Gesehen hatte ihn noch keiner dabei und verraten hatte er es bisher auch niemandem, trotz Kneipenbrüderschaft und Kumpelei. Einige wollten sogar wissen, dass er mit der toten Gräfin in Verbindung stünde, die würde ihm helfen, denn sie war ja schließlich unter dem Sternzeichen der Fische geboren worden, genau wie er. Norbert schwieg dazu. Reden war sowieso noch nie seine Stärke gewesen, auch in de Kneip ´ hörte er lieber zu. Ich hatte ihn manches Mal beim Bier und bei seinem grünen Likör angetroffen. Wenn er zuhörte, kniff er seine kleinen Augen zusammen und ordnete mit einem grellfarbenen Kamm sein filziges Haar, in das er immer einen quer laufenden Scheitel zu ziehen versucht hatte.
    »Eh, dass der ein Wort gesagt hat, hat er schon dreie getrunken.«
    Sie schüttelten den Kopf über ihn im Dorf, aber darin lag so etwas wie Bewunderung, denn nur einer mit einer Bärennatur hielt so etwas auf die Dauer aus: Jeden Tag eine Flasche von diesem giftgrünen Zeug zu Hause und dazu noch an ein paar Abenden die Kneipe.
    Wie er das mit dem Geld machte, war ihnen sowieso ein Rätsel.
    »Die Erna steckt ihm sicher ab und zu was von ihrer kleinen Rente zu«, vermuteten die Frauen, » selber braucht sie ja nicht viel und er ist doch ihr Jüngster.«
    An einem Julitag im letzten Sommer war er dann umgefallen, nicht abends in der Kneipe, morgens, als er aus dem Bett gestiegen war. Seine Mutter hatte aus der Küche gehört, wie der schwere Körper in der kleinen Kammer hinter der Treppe auf den Boden geschlagen war. Sie war in panischer Angst in das Posthäuschen gelaufen und Edda hatte telefonisch den Doktor alarmiert. Gisbert hat mir später erzählt, dass er Norbert mit Blaulicht und Sirene ins Kreiskrankenhaus hatte bringen lassen, wo er dann tagelang an Schläuchen hing. Seine Mutter war fast jeden Tag in die vierzig Kilometer entfernte Kreisstadt gefahren, bis Norbert über den Berg war. Nach knapp drei Wochen war er dann wieder ins Dorf zurückgekehrt und alle hatten sich über ihn gewundert. Er saß wie vorher an einem Tisch in der Kneipe, aber er trank nicht mehr, weder Bier noch den süßen Likör. Das hatte er seiner Mutter versprechen müssen. Wolfgang, der Wirt, stellte von nun an Limonade oder Cola auf seinen Bierdeckel und Norbert lächelte still, wenn sie an den Nachbartischen ihre Witze machten.
    Prosteten sie ihm mit ihren Schnäpsen zu, hob er – nicht ohne Würde – sein Limonadenglas. Während die Leute im Dorf über Norberts Wandel staunten, war seine Mutter glücklich. »Danken kann er seinem Herrgott, dass er noch mal so davongekommen ist«, sagte sie zu den Frauen, die sie in dem kleinen Laden im Schloss traf. Für sie hatte die glückliche Rückkehr ihres Sohnes aus dem Krankenhaus mehr mit dem Himmel als mit den Ärzten zu tun.
    Mit der Zeit war das Interesse an dem reuigen Sünder erlahmt. Er stand nun jeden Morgen pünktlich um fünf Uhr im genossenschaftlichen Schweinestall und fuhr nach der Arbeit wie gewöhnlich – den breitkrempigen Hut auf dem Kopf – in den Wald. Aus seinen Jackentaschen sahen nun die Flaschen mit grüner Waldmeisterlimonade hervor. Ja, er hatte die Ermahnung des Doktors ernst genommen. Gisbert hatte ihm prophezeit, dass er es nicht überlebte, wenn er wieder zur Flasche greifen würde. Die Männer in der Kneipe hielten das für übertrieben. Man durfte den Ärzten auch nicht alles glauben. Inzwischen waren ganz andere Leute im Dorf gestorben, die Trinker lebten alle noch. Schnaps konserviert, hatten sie gesagt und Norbert hatte gelacht.
    Da niemand mehr auf ihn geachtet hatte, konnte auch keiner genau sagen, wann aus der grünen Limonade in den Flaschen wieder der giftgrüne Likör geworden war. Und als sie es bemerkt hatten, quittierten sie es mit Gelassenheit.
    »Traurig is es schon«, sagten die einen, »Einmal Säufer, immer Säufer«, die anderen, er war ja auch nicht der einzige im Dorf, der an der Flasche hing.
    Inzwischen war es Dezember geworden und alle irgendwie mit Weihnachten beschäftigt oder mit der Kartoffelernte oder mit dem Dach des Kuhstalls, durch das es schon seit
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