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Oliver Hell - Abschuss (Oliver Hells erster Fall) (German Edition)

Oliver Hell - Abschuss (Oliver Hells erster Fall) (German Edition)

Titel: Oliver Hell - Abschuss (Oliver Hells erster Fall) (German Edition)
Autoren: Michael Wagner
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Kapitel 1
    Er dachte, er kenne sich aus in seinem Leben. Er dachte, er kenne sich. So gut, wie man sich mit fünfunddreißig Jahren kennen konnte. Daniel Hesse kannte seine Einstellung zum Leben, er hatte ein festes Weltbild besessen. Es war geprägt durch seine Erziehung. Seine Eltern hatten ihm beigebracht, alles Leben zu achten. Seine Erziehung hätte man streng christlich nennen können. Mit Anfang zwanzig aber hatte er begonnen zu zweifeln, hatte den christlichen Glauben schließlich abgelegt. Die dogmatische Gläubigkeit seiner Eltern empfand er nur mehr als Fessel. Ein Gott, der die Welt sich selbst überließ, der konnte kein die Dinge liebender Gott sein. Die eigene Schöpfung führte dieser Gott ad absurdum. Er konnte nicht mehr an diesen Gott glauben, den seine Eltern ihm vermittelt hatten. Doch die ihm vermittelten Werte hatte er behalten. Etwas sollte man behalten, dachte er sich. Alles Leben blieb ihm heilig. Wenn man sich schon nicht auf die Eltern und Gott verlassen konnte. Dann wenigstens auf die Schöpfung und die Geschöpfe. Der Glauben war jahrelang sein Anker.
    Seit geraumer Zeit trieb er ohne eine Rettungsplanke durch die Fluten ins Ungewisse.
    Auch für jedwede Not der Anderen hatte er ein Gespür. Dort half er so gut er konnte. Den Bedürftigen. Haben und Nichthaben hatte er schon früh kennengelernt. Schon als Kind hatten andere Dinge, die für ihn in weiter Ferne blieben. Seine Eltern wollten es so. Das sei alles nur Tand und man sollte sich überhaupt nicht von Dingen abhängig machen. Alle Dinge, die seine Freunde oder Mitschüler besaßen oder liebten, waren für seine Eltern nur Nichtigkeiten. Deshalb hatte er nie eine Chance so zu sein wie alle anderen.
    Wenn es in seinem Leben etwas wirklich Negatives gab, so war es das. Darum lag alles Folgende darin begründet. Das für ihn immerwährend Erduldete erzeugte eine andauernde Frustration.
    Diese Desillusionierung versuchte er, mit seiner Einfühlungsgabe für seine Mitmenschen zu kompensieren. Doch in Zeiten des allgemeinen Überflusses und der trägen Selbstgefälligkeit war niemand mehr in der Lage zuzugeben, dass er etwas benötigte. Damit war diese Zeit vorbei. Menschen hatten keine Not mehr, also suchte er sich die aus, die noch Not hatten. Tiere. Tiere in Not wurden sein neuer Focus.
    Mit Genugtuung dachte er daran, wie er Tieren geholfen hatte, die von Menschen verletzt und gequält worden waren. Jeden Tag ging er mit Tieren aus dem nahe gelegenen Tierheim spazieren, bei Wind und Wetter. Ein eigenes Tier konnte er nicht nach Hause holen. Seine Kinder hatten eine Tierhaarallergie.
    Wenn er an sich dachte, dann konnte er in seinem Spiegelbild einen zerrissenen Menschen sehen. Die Menschen, denen er Hilfe angeboten hatte, hatten seine Hilfe nicht mehr nötig gehabt. Die Tiere fragten nicht um Hilfe. Er half. Sie taten ihm gut, er tat ihnen gut.
    Nach außen trat er als ein in sich ruhender Charakter auf. Er hatte sich dafür entschieden, niemandem seine innere Zerrissenheit zu zeigen. Auch hatte er nicht das Bedürfnis, alles, was er bisher erlebt hatte, anderen mitzuteilen. Er schloss es in sich ein. Es gab kaum noch jemanden, der ihn wirklich kannte.
    Auch nicht seine Frau und seine beiden Kinder. Er liebte seine Kinder, liebte sein kleines Mädchen und auch seinen Sohn. Er liebte auch noch seine Frau, obwohl sie ihn sehr verletzt hatte, als sie ihn verließ, um mit den Kindern zu ihren Eltern zu ziehen. Es sei nur vorübergehend, sagte sie. Sie wolle sich ihrer Gefühle wieder klar werden. Ihm war, als müsste er ersticken. Er tat es nicht. Wie er alle Verletzungen und Abweisungen in seinem Leben überlebt hatte, überlebte er auch das.
    Er lebte weiter.
     
    Gerade eben stand er mitten im Zimmer seiner Tochter und starrte auf das leere Bett. Sein Herz klopfte wie nach einem Hundertmetersprint. Ein Traum hatte ihn aus dem Schlaf aufgeschreckt. Atem flog. Der Traum hatte ihm vorgegaukelt, seine Tochter hätte nach ihm gerufen. Ein Traum. Nur ein Traum. Das Bett blieb leer.
    Er lehnte noch eine Weile unschlüssig am Türrahmen. Schließlich riss er sich los, um sich einen Kaffee zu machen. Er strich sich das wirre Haar aus dem Gesicht und stapfte die Treppe herunter. Die Küche war völlig unaufgeräumt, Chaos. Er tat nur das Notwendige. Aufräumen und Spülen gehörte nicht dazu. Es gab keine saubere Tasse mehr, also spülte er eine nur mit klarem Wasser. Es war drei Uhr nachts. Zitternd füllte er das Kaffeemehl in den Filter und
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