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Abaddons Tor: Roman (German Edition)

Abaddons Tor: Roman (German Edition)

Titel: Abaddons Tor: Roman (German Edition)
Autoren: James S. A. Corey
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dem er gedient hatte, war die Liegezeit im Hafen eine Gelegenheit gewesen, den viel zu vertrauten Gesichtern ein paar Tage lang zu entgehen. Das hatte sich geändert, das galt nicht für diese Crew. Er verkniff es sich, rührselig zu werden und ihnen zu sagen, dass er sie alle liebte, und kippte lieber noch ein Glas Scotch.
    »Eine letzte Runde vor dem Angriff.« Amos nahm die Flasche.
    »Das steigt dir zu Kopfe«, warnte Holden und stieß sich von dem Tisch ab. Auf dem Weg zur Toilette schwankte er etwas stärker, als er es erwartet hätte. Der Scotch wirkte wirklich sehr schnell.
    Die Toiletten der VIP-Lounge waren luxuriös. Dort gab es keine Reihen von Urinalen und Waschbecken. Vielmehr führte ein halbes Dutzend Türen zu privaten Kabinen, die jeweils eine eigene Toilette und ein eigenes Waschbecken besaßen. Holden betrat eine davon und verriegelte hinter sich die Tür. Sofort war der Lärm fast vollständig ausgeblendet. Ein paar Minuten lang konnte er sich aus der Welt zurückziehen. Wahrscheinlich war genau dies beabsichtigt. Er war dankbar, dass die Konstrukteure des Casinos dieses wahrhaft stille Örtchen eingerichtet hatten. Andererseits hätte es ihn nicht einmal sonderlich überrascht, über dem Waschbecken einen Geldspielautomaten zu entdecken.
    Mit einer Hand stützte er sich an der Wand ab, während er sein Geschäft erledigte. Er war noch lange nicht fertig, als es im Raum blitzte. In den verchromten Armaturen spiegelte sich ein leichter blauer Lichtschein. Die Angst traf ihn wie ein Faustschlag in den Magen.
    Schon wieder.
    »Ich schwöre bei Gott«, begann Holden. Dann hielt er inne, beendete sein Geschäft und zog den Reißverschluss der Hose zu. »Miller, wenn ich mich umdrehe, sind Sie hoffentlich nicht mehr da.«
    Er drehte sich um.
    Miller war da.
    »Hallo«, begann der tote Mann.
    »›Wir müssen reden‹«, vollendete Holden den Satz und ging zum Waschbecken, um seine Hände zu waschen. Ein winziges blaues Glühwürmchen folgte ihm und landete auf dem Sims. Holden schlug mit der flachen Hand danach, doch als er sie hob, war nichts darunter.
    Millers Ebenbild im Spiegel zuckte mit den Achseln. Dann setzte er sich ruckartig in Bewegung wie ein Uhrwerk, das eine Spielfigur ungelenk antrieb, zugleich menschlich und mechanisch.
    »Alle sind gleichzeitig hier«, sagte der Tote. »Ich will nicht über das reden, was mit Julie passiert ist.«
    Holden zog ein Handtuch aus dem Korb neben dem Waschbecken, lehnte sich an den Sims, betrachtete Miller und trocknete sich langsam die Hände ab. Er zitterte, wie er schon immer gezittert hatte. Das Gefühl, in Gefahr zu schweben und vor etwas Bösem zu stehen, kroch den Rücken hinauf, wie es früher jedes Mal geschehen war. Holden hasste das Gefühl.
    Detective Miller lächelte und schien von etwas abgelenkt, das Holden nicht sehen konnte.
    Der Mann hatte auf Ceres beim Sicherheitsdienst gearbeitet, war gefeuert worden und hatte sich auf eine ganz persönliche Jagd begeben, um ein vermisstes Mädchen zu suchen. Einmal hatte er Holden das Leben gerettet. Holden hatte zugesehen, wie die Asteroidenstation, auf der Miller und Tausende Opfer des außerirdischen Protomoleküls festsaßen, auf die Venus gestürzt war. Unter ihnen hatte sich auch Julie Mao befunden – das Mädchen, das Miller gesucht und zu spät gefunden hatte. Ein Jahr lang hatte das außerirdische Artefakt unter den Wolken der Venus gelitten und an seiner unverständlichen Konstruktion gearbeitet. Das Objekt war aufgestiegen, mächtige Bauteile hatten sich aus der Atmosphäre erhoben und waren wie ein gewaltiger, in den Weltraum versetzter Meeresbewohner in die Leere davongeflogen. Miller hatte diesen Flug mitgemacht.
    Und jetzt war er wieder da und gab Unfug von sich.
    »Holden«, sagte Miller, doch er sprach nicht mit ihm. Er beschrieb ihn. »Ja, das ist schon richtig. Sie sind keiner von denen. He, Sie müssen mir zuhören.«
    »Dann sollten Sie etwas sagen. So läuft das nicht. Seit fast einem Jahr erscheinen Sie mir immer wieder, aber Sie haben noch nie etwas Brauchbares von sich gegeben. Kein einziges Mal.«
    Miller tat die Bemerkung mit einer Handbewegung ab. Der ältere Mann atmete schneller und keuchte schließlich sogar wie nach einem Wettlauf. Schweißperlen glänzten auf der fahlen Haut.
    »Es gab da mal ein nicht lizenziertes Bordell im Sektor achtzehn. Wir gingen rein und dachten, wir könnten fünfzehn oder zwanzig Leute einlochen. Vielleicht sogar mehr. Wir sind rein, aber der
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