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Titel: 18
Autoren: Markus Luengen
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zuhörte.
    „Warum diese Taktik, mich fast umzubringen? Ich habe ihr immerhin das Leben gerettet“, fragte ich und beugte mich vor, um den Acht-Sorten-Gemüse-Saft auf dem Tisch noch weiter weg zu schieben. Er verstand den Wink nicht. Mir wurde übel.
    „Wir sind Ihnen dankbar“, sagte er und starrte auf meine Hose. „Wir sind dankbar, dass sie unsere Tochter gerettet haben.“
    „Sie sind mir dankbar.“ Niemand sagte ein weiteres Wort. Im gesamten Haus lastete eine Stille, die entsteht, wenn keine Kinder mehr da sind und zu dicke Teppiche auf dem Boden liegen.

 
    „Gefährlich sind die Ausreisen aus einem Land, nicht die Einreisen. Die Leute bringen Rebellion mit nach Hause“, sagte ich schließlich. Ich hatte langsam und deutlich gesprochen. Ich wollte, dass er den Satz versteht und sich merkt.
    „Sue ist nicht hier“, murmelte er schließlich. Er sah mich nicht an. Ich schätzte, dass er höchstens Abteilungsleiter war. Niemals ein so hohes Tier wie mein Vater, der mich und Pat beim Gespräch bezwungen hatte. Es schien hundert Jahre her zu sein. Ich stand auf und Sues Vater sah mich erschrocken an. Niemand würde mich jemals wieder jemand in einem Gespräch bezwingen.
    „Sie sind ein unglücklicher Mann“, sagte ich.
    „Sie kommen einfach hierher. Gordon wird auch bald hier sein.“ Er schaute wieder auf meine Wildlederhose.
    „Sie haben die Ausreisen unterschätzt“, sagte ich. „Sie haben nur auf die Rückreise Wert gelegt.“
    Er schaute mich resigniert an.
    „Ich muss telefonieren“, sagte ich, und er wies auf den Apparat auf einem Beistelltisch. Er zog sich diskret zurück. Er würde nicht mal auf einem anderen Apparat mithören. Es hätte ihm auch nichts genutzt.
    Pat meldete sich nicht. Die Ansage auf seinem Anrufbeantworter verwies auf eine andere Nummer. Ich notierte sie auf einem Zettel, rief dort an und hörte wieder einem Anrufbeantworter zu. Eine Mädchenstimme. Als ich meine Nachricht begann, hob Pat den Hörer ab: „Wenigstens nicht mitten in der Nacht.“
    „Ich bin immer noch in diesem Land“, sagte ich. „In einem Vorort. Sie sind alle verrückt hier.“
    „Hier auch. Hast Du die Toten gefunden?“, fragte er.
    „Eine. Es war nur eine. Sie lebt. Ich bin mir sicher, dass sie lebt. Nur der Vater ist fast tot. Er will mich nicht zu ihr lassen.“
    „Du hast ihn erschlagen. Shakespeare.“
    „Erinnerst du dich an den Anfang? An das Gespräch mit meinem Vater und den Fischteich und den Apfelsaft?“
    „Nur Josefine hatte Apfelsaft. Wir hatten nicht mal Wasser, sofern ich mich erinnere. Dein Vater hatte garantiert keinen Apfelsaft. Und von dem, was er hatte, hat er uns nichts angeboten.“
    „Damals haben wir es vermasselt. Du und ich. Du bist schuld, verstehst du das endlich? Ich muss es diesmal besser machen. Wenn du mir jetzt wieder einen Scheiß-Tipp gibst, ist es aus. Wie lautet dein Tipp?“
    „Mach es härter.“
    „Dein Tipp. Es härter machen.“
    „Es. Nicht ihn. Denk an den Unterschied. Unsere ‚Pretty Paracetamol’-Tour durch die Aula. Ich hätte bei deinem Vater ins Klavier pissen sollen. Ich hätte nicht in den Teich pissen sollen. Ich mache mir Vorwürfe, du hast völlig Recht. Hätte ich ins Klavier gepisst, wärst du jetzt nicht auf der Suche nach den Toten.“
    „Nur eine Tote und sie ist nicht tot, kapiert? Und meine Eltern haben kein Klavier.“
    „Ich hab die Tour mit Semme nochmal gemacht. Semme, der Typ mit dem Kombi. Die Tour auf der Bühne.“
    „Ich bin in diesem Scheiß-Wald fast umgekommen, wenn der Alte von der Farm nicht zufällig die Idee gehabt hätte, seine Wilderer-Hütte winterfest zu machen. Ich wäre beinahe verreckt.“
    „Wir dachten uns: Warum meldet er sich eigentlich nicht?“
    „Wenn du Josefine auch nur anschaust, bist du tot. Mausetot, das weisst du“, sagte ich und hängte ein. Ich wählte noch einmal und Josefine meldete sich.
    „Ich komme bald“, sagte ich. „Morgen nehme ich das Flugzeug.“
    „Ich hatte einen Traum. Wir gehören zusammen und wir wissen das.“
    „Wir werden zusammen wohnen.“
    „Wir werden wochenlang nur im Bett liegen.“
    „Niemand kann uns noch etwas anhaben. Zusammen sind wir unbesiegbar.“
    „Wir sind immer zusammen. Alle Kapitel sind abgeschlossen und das Buch endet gut.“
     „Wenn Pat dich auch nur anruft, ist er tot.“
    „Du schaffst es“, sagte sie und gab mir einen Kuss durch den Hörer.
    Ich lege auf, durchquerte das Wohnzimmer und verließ das Haus ohne noch jemandem
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