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Titel: 18
Autoren: Markus Luengen
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Pretty Paracetamol
Frank erzählt:
    Im Frühjahr des Jahres 1985 gründeten Pat und ich eine Band. Wir nannten sie Pretty Paracetamol, was prophetisch und richtungsweisend klingen sollte. Außerdem war es der Titel eines Songs von Fischer Z. Zwei Leute reichten jedoch kaum für eine Band, zumal wir beide weder Gitarre spielen noch ein Keyboard bedienen konnten. Im Prinzip wollten wir nur vorne am Bühnenrand stehen und ins Mikrofon brüllen, bis sich die Mädchen in der ersten Reihe endlich die Klamotten vom Leib rissen.
    Pretty Paracetamol war sozusagen ein ewiges Projekt der Träumerei. Allerdings war es auch wieder so real für uns, dass wir schon einer Menge Leute davon erzählt hatten, und als unsere Schule die jährliche Abiturfeier vorbereitete, standen wir vor dem Offenbarungseid. Ein paar Leute fragten uns, ob wir dabei wären mit unserer Band, und wir sagten: „Klar sind wir dabei.“ Wir machten uns nicht viele Sorgen, denn diese Verabschiedungen waren eine Mischung aus Ehemaligentreffen und Schaulaufen der Lehrer für die Eltern. Diese Abende waren mäßig aufregend, und für uns, die die Ehre der Teilnahme als Absolventen eigentlich erst im darauf folgenden Jahr hatten, bot der Bandauftritt eine willkommene Chance zur Provokation. Es hatte sich rasch herumgesprochen, dass wir unser Meldeformular für Pretty Paracetamol beim Rektor abgegeben hatten, und alle hofften, dass es diesmal anders werden würde. Und es wurde in der Tat anders. Ganz anders.
    Wir verbreiteten eine Aura des Geheimnisvollen um uns, was nicht zuletzt damit zusammenhing, dass wir uns nicht dazu durchringen konnten, an irgendwelchen Instrumenten zu üben. Sie hatten uns eine halbe Stunde im Ablauf des Abends reserviert und „Auftritt von Pretty Paracetamol“ ins Programm gedruckt. Es gab ein übles Besäufnis von Pat und mir, währenddessen wir uns schließlich eingestehen mussten, dass wir Pretty Paracetamol nicht als Band im klassischen Sinne hinbekommen würden. Im Prinzip ging es nur noch um unseren Ehrgeiz, die von den Mitschülern in uns gesetzten Erwartungen nicht zu enttäuschen. Die Leute schienen von nichts anderem zu reden, sobald sie uns auf dem Schulhof sahen.
    Am Abend des Auftritts bekamen Pat und ich zur Vorbereitung einen Raum hinter der Aula zugewiesen, in dem Landkarten und geologische Modelle aufbewahrt wurden. Wir hatten gesagt, wir bräuchten einen Raum für die Musikinstrumente. Wir hatten natürlich gar keine Instrumente. Wir verbrachten die Zeit bis zu unserem Auftritt inmitten von tektonischen Modellen der Erdkruste und Reliefdarstellungen der Vulkaneifel.
    Durch die angelehnte Tür hörten wir die Rede des Direktors und danach die peinlichen Ansprachen von einigen Ehemaligen. Sie haspelten sich durch betont spaßige Reden und kündigten ihre Spenden für den Förderverein der Schule an. Sie nannten konkrete Geldbeträge. Diese Ehemaligen waren kaum zu bremsen. Pat und ich saßen auf den üblichen Klassenzimmerstühlen und trommelten mit den Fingern auf dem Tisch zwischen uns. Durch den offen stehenden Spalt der angelehnten Tür konnte Pat bis in die Aula sehen. Er begann schneller zu trommeln und eine schwierige Perkussion aus Handballen und Fingerspitzen zu probieren. Seine Hände schafften eine neue Interpretation von 'Black Betty', bevor er unvermittelt aufsprang, seine Hände in die Hosentaschen steckte und im Raum auf und ab ging. Schließlich lehnte er sich an ein Tischbein und glitt in die Hocke.
    „Der Typ macht mich wahnsinnig“, sagte Pat.
    „Du wärst übrigens ein guter Mann am Schlagzeug. Oder an irgendwelchen Trommeln. Ist jetzt aber wohl zu spät“, antwortete ich.
    Pat angelte sich eine Flasche aus dem Bierkasten, der unter dem Tisch stand. Er hebelte sie an der Tischkante auf, setzte sie an die Lippen und ließ einige Schlucke in sich hineingluckern. Er rülpste leicht.
    „Ist es noch kalt?“, fragte ich ihn.
    „Kalt genug zum Rülpsen. Ich bin nervös. Du nicht? Ich war noch nie nervös im Leben. Kann mich nicht dran erinnern.“
    Ich setzte mich ihm gegenüber auf den Boden und griff in den Kasten. Der Direktor hatte uns persönlich vor ein paar Wochen in sein Zimmer eingeladen und uns dringend nahegelegt, dass a) kein Alkohol auf der Bühne im Spiel sein dürfe und b) keine Beleidigungen der Schule aus dem Liedgut hervorgehen dürfe. Wir hatten beide genickt. Der Rektor hatte auch genickt und draußen waren wir. In seinem Büro hingen Kinderbilder an der Wand.
    „Ich bin nicht
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