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159 - Schimären der Wüste

159 - Schimären der Wüste

Titel: 159 - Schimären der Wüste
Autoren: Michael M. Thurner
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Abzweigungen und Umwege machten es ihr unmöglich, die Richtung zu bestimmen. Vermutlich gab es einen besseren Weg ins Freie, aber Stammesrituale erlaubten es den Schimären wohl nicht, direkt nach oben zu marschieren.
    Eine gute Stunde verging, bis Aruula den Wind aus dem Freien in die Höhle pfeifen hörte. Staub und Sand legten sich augenblicklich über sie und scheuerten unangenehm in allen Falten des hässlichen Gewandes.
    »Es ist kein schöner Tag für eine Heirat!«, brüllte ihr N’oia ins Ohr, als sie den Ausgang passierten. »Die Natur mag diese Verbindung zwischen einem Schimären und dir nicht.«
    »Da bin ich ganz ihrer Meinung!«, gab Aruula zur Antwort.
    »Aber dein Chef sieht das sicherlich anders.« Sie blinzelte gegen die ungewohnte Helligkeit des Tageslichts.
    Wo war Moogan geblieben?
    Da: Ganz am Ende des Zuges stolzierte er dahin, deutete manchmal huldvoll über die Menschen hinweg, wenn sie sich schüchtern und verängstigt zu ihm umblickten. Dabei war er jedoch höchst konzentriert; sein Schritt wirkte hölzern, ja geradezu wie ein Taumeln!
    Und wenn sie jetzt die Flucht wagte? Wahrscheinlich griff Moogan in diesen Augenblicken auf möglichst viele der Schimären zu und trachtete danach, sie unter seiner Kontrolle zu halten. Das Verlassen der Kruste und der Anblick der Bruchsteppe erzeugte in den Stammesmitgliedern sicherlich sehnsüchtige Gefühle.
    Nein, das Risiko war noch zu groß. Erst bei dem Schattenfelsen, weit entfernt von der Kruste…
    Hastig suchte Aruula ein anderes, weniger verfängliches Thema, mit dem sie sich beschäftigen konnte…
    Rapushnik! Wo war das Kamshaa eigentlich abgeblieben?
    N’oia hatte es doch hier draußen angebunden und ausreichend Nahrung zurückgelassen.
    Richtig – dort vorne stak der Holzpflock immer noch im Sand! Der Rest eines durchgenagten Seils war daran befestigt.
    Das Kamshaa hatte sich also längst verdünnisiert.
    Wahrscheinlich trabte es Hunderte Kilometer entfernt durch die Steppenwüste und wartete auf ein neues menschliches Opfer, das es mit seinen Bösartigkeiten in den Wahnsinn treiben konnte.
    Aruula verspürte keinen Ärger darüber, nur etwas Neid.
    Rapushnik war immerhin geglückt, was ihr bislang verwehrt beblieben war…
    ***
    Die Schimären-Krieger fanden ihren Weg trotz des immer heftiger werdenden Sandsturms. Sie benötigten weder einen Kompass, wie Maddrax einen besessen hatte, noch den Stand der Gestirne. Ihre Instinkte sagten ihnen, wo sie lang laufen mussten, um den Schattenfelsen zu erreichen.
    »Wie weit ist es noch?«, fragte Aruula. Sie schützte ihre Augen mit vorgestrecktem Arm. Die Narbe am abgetrennten Finger begann zu schmerzen. Irgendwann einmal, wenn sie genug Ruhe und Muße fand, würde sie sich mit diesem Verlust auseinandersetzen müssen. Bislang hatte sie ihn weitgehend verdrängt. Es gab Wichtigeres…
    »Noch zweitausend Mannslängen«, gab N’oia zur Antwort.
    Er blieb als einziger Mann nach wie vor an ihrer Seite. Sein langes, gerades Messer steckte in einem Futteral am Gürtel.
    Ein einziger rascher Griff, und sie konnte…
    Gar nichts kannst du, meine Hübsche!, bildete sich ein von hämischem Gelächter untermauerter Gedanke in ihrem Kopf.
    Ich überwache dich auf Schritt und Tritt. Sobald du etwas Unüberlegtes tust, stürzt sich ein Dutzend Weiber auf dich und ringt dich nieder.
    Aruula sank in die Resignation zurück, und die Frauen begannen lautstark gegen den Sturm anzusingen. Sie scherten sich nicht weiter darum, dass der Wind den Lärm verschleppte und zu einer verzerrten Disharmonie werden ließ. Ihr Geschrei und Gezeter, der unrunde Rhythmus und die Intensität des Cantos waren erschreckend. Aruula konnte gar nicht anders, als leise mitzubrummen. Die Wörter, wahrscheinlich uralt und einer anderen Zeit entstammend, ergaben keinen Sinn.
    Dennoch erzeugten sie ein Gefühl von Größe und Urgewalt, von Stolz und Temperament.
    Sie alle streiften achtlos die Bänder und Schals von ihren Gesichtern, sangen leidenschaftlich weiter. Niemand störte sich nun an dem wütenden Sturm, der über sie hinweg fegte, Nasen und Münder verstopfte und sie zum Taumeln brachte.
    Für einen Moment erblickte Aruula Moogan. Sein Gesicht wirkte entrückt. Er labte sich offensichtlich an den ganz besonderen Emotionen, die sein Volk erfasst hatten. Selbst die Verrückten wurden vom Enthusiasmus mitgerissen. Sie vor allem tanzten umher, schlängelten sich ziellos durch die Menschenmenge, gaben sich hemmungslos
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