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159 - Schimären der Wüste

159 - Schimären der Wüste

Titel: 159 - Schimären der Wüste
Autoren: Michael M. Thurner
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prachtvollen Körper großteils hinter stinkenden Fellen und Stoffresten. Glücklicherweise bereitete ihr die Stichwunde im Oberschenkel, die die Tongidd-Frau ihr beigebracht hatte, keine Probleme war; sie war gut verheilt. [1]
    »Ich dachte, dass Männer die stursten Geschöpfe unter dem Sternenhimmel sind«, fuhr Aruula leise, mit sanfter Stimme fort. Vielleicht vermochte ja der Tonfall und nicht der Sinn der Worte Rapushnik zu bewegen, weiter zu stapfen. »Aber du übertriffst alles. Ich durchschaue dich: Solange Jem’shiin in der Nähe war, hast du alles getan, um meine Aufmerksamkeit zu erringen. Wahrscheinlich dachtest du, dass ich freundlicher und netter wäre als der Mann vom Clan der Shassun, nicht wahr…?« Sie streichelte dem Tier sanft über das zottelige Fell am Halsansatz. »Na, gefällt dir das? Magst du es, wenn man sich um dich kümmert? Wenn man dich lieb hat? Wusste ich’s doch! Noch weiter unten? Da, an der Brust?«
    Aruula rubbelte Rapushnik fürsorglich, klopfte ihm den Sand aus der Mähne, redete mit sonorer Stimme auf das Reittier mit den beiden Höckern ein. Das Kamshaa stöhnte wohlig, drückte mit seinem ganzen Gewicht gegen die Barbarin.
    »Hoa, nicht so stürmisch! Aber ich sehe schon: Ein wenig Zutrauen tut dir gut, nicht wahr? So – und wenn du nun einen kleinen Schritt vorwärts machen würdest; einen klitzekleinen wenigstens? Einfach so – siehst du? Wenn du das für mich tust, verspreche ich dir für den Abend die beste Striegelung deines Lebens. Also komm…«
    Rapushnik verdrehte vertraulich die Augen, verzog das Maul zu einer Art Grinsen. Er rülpste und furzte und spuckte Aruula schließlich einen Strahl gelblicher Kaumasse über das Brustfell.
    Die Barbarin stand still. Zählte bis dreißig. Zog das Breitschwert – und steckte es mit vor Wut zitternden Händen wieder zurück in die Scheide.
    Sie war auf das Tier angewiesen. Auf seinen Instinkt; auf seine Gabe, stunden- und tagelang durch die Ödnis der Wüste zu traben, ohne Ermüdungserscheinungen zu zeigen. Darauf, dass es sie und ihr weniges Gepäck trug.
    Wenn es denn bereit war, ihren Kommandos zu gehorchen.
    »Ich schwöre dir«, sagte sie leise und wuterfüllt, »wenn ich am Ziel meiner Reise angelangt bin, lasse ich dein widerliches Fleisch verwursten und deine erbärmlichen Knochen verbrennen. Du Gekröse Omoluus, des Gottes der Krankheiten. Nein: Du flohbefallenes Gekröse Omoluus – oder noch besser: Du von stinkenden Springflöhen befallenes Gekröse Omoluus…«
    Aruula besaß in der Tat einen prägnanten Wortschatz, und er half ihr über diese schweren Stunden ihrer Reise hinweg.
    ***
    Irgendwann ließ sich Rapushnik doch dazu bewegen, langsam und majestätisch weiter zu stolzieren. Am Zügel führte ihn Aruula an langen Reihen zerklüfteten Gesteins entlang.
    In gewisser Weise steckte Schönheit in dieser bizarren Umgebung. So weit das Auge reichte, erstreckten sich parallel zueinander laufende Hügelketten. Doch weder die Wüste noch diese Felsformationen waren ihre gewohnte Umgebung. Die sonst so ausgeprägten Instinkte versagten ein ums andere Mal.
    In dieser – streckenweise gefrorenen – Steinwüste fühlte sich Aruula außerordentlich unwohl.
    Waren es Götter, die diese messerscharfen Grate ins Gestein geschnitten hatten? Oder der Wind, der sie über Äonen hinweg geformt hatte? Oder war auch der hiesige Wind eine Gottheit, der die Welt so gestaltete, wie er es für richtig hielt?
    Aruula verdrängte ihre Gedanken so rasch wie möglich. Es war nicht gut, über höhere Mächte nachzudenken. Manche Gottheiten sahen und hörten sehr gut, was die Menschen bewegte.
    Eine Bö, heftiger als alle anderen zuvor, riss die Barbarin fast von den Beinen. »Verzeih mir!«, rief sie gegen den hoch gewirbelten Staub.
    Doch das nutzte nichts, im Gegenteil: Sandhosen drehten sich hoch und höher, hüllten sie fast zur Gänze ein.
    Hastig blickte Aruula sich um, suchte nach sicherem, festen Land, auf das sie sich flüchten konnte. Denn der Sand unter ihren Füßen geriet ins Rutschen, zog sie und Rapushnik auf eine der Sandhosen zu…
    Die Sicht wurde immer schlechter, das Brüllen des Windes nahm hingegen zu. Ihre Augen tränten und vermochten die stetig höher wachsende Mauer aus Flugsand nicht mehr zu durchblicken.
    Rapushnik stemmte seine Stelzenbeine in den Boden, ging mit trippelnden und raschen Schritten rückwärts. Aruula entschied augenblicklich. Sie würde nicht loslassen, vertraute dem Instinkt des
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