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159 - Schimären der Wüste

159 - Schimären der Wüste

Titel: 159 - Schimären der Wüste
Autoren: Michael M. Thurner
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entziehen konnte – oder wollte. Sie musste weiter.
    »Wir verdanken dir alles«, sagte Sy’cho. »Sowohl den Tod vieler Schimären, als auch die Freiheit der restlichen. Und das Ende der Schreckensherrschaft.«
    »Was ich an Leid über dein Volk gebracht habe, bedaure ich unendlich«, entgegnete Aruula. »Es war nicht meine Absicht. Ich wollte einzig –«
    »Ich weiß, dass du uns nur helfen wolltest«, unterbrach Sy’cho sie. »Darum wirst du uns auch immer willkommen sein.« Er lächelte tapfer. Er hatte sich ausreichend erholt.
    Zumindest hatte es den Anschein, als fühlte er sich besser.
    »Was werdet ihr mit den Toten machen?«, fragte Aruula.
    »Doch nicht etwa an die Sandquallen…«
    »Nein!« Sy’cho schüttelte den Kopf. »Wir beerdigen sie gemäß der alten Rituale. In der einen oder anderen Familie gibt es noch verborgenes Wissen über die Zeit vor… vor Moogan.«
    Er war bemüht, den Namen des Tyrannen so selten wie möglich auszusprechen. Wahrscheinlich würde er irgendwann verschwinden, und nachdem mehrere Generationen das Licht der Welt erblickt hatten, würde man am Lagerfeuer nur noch vom namenlosen Grauen einer vergangenen Zeit reden.
    Aruula spürte ein Gefühl der Befriedigung in sich wachsen.
    Menschen, deren Namen in Vergessenheit gerieten, hatten niemals gelebt. So sahen es die Kriegerinnen der Dreizehn Inseln, und so würde es auch hier, eine Weltreise entfernt, geschehen.
    »Ich gehe nun«, sagte Aruula. Sie umfasste die Unterarme Sy’chos und verabschiedete sich mit kräftigem Druck.
    »Es gäbe viele Dinge, die wir von dir lernen könnten«, brummte N’oia. Die eitrigen Pickel seiner seit Jahrzehnten hinter Tüchern verborgen gebliebenen Haut verheilten rasch.
    Metallnägel, die er aus den Wangen gezogen hatte, hatten tiefere Löcher hinterlassen.
    »In meiner Heimat sagt man, dass sich zwei Freunde niemals alles erzählen sollten. Sonst gäbe es keinen Grund für ein weiteres Zusammentreffen.« Sie schwang sich auf Rapushnik, setzte sich zwischen die beiden Höcker.
    Die Hornschuppen des Kamshaas glänzten im fahlen Sonnenlicht. Breite Nüstern blähten sich im Takt seiner Atmung. Im Maul hielt es ein saftiges Büschel frischen Heus.
    Rapushnik war von den Schimären mit ebenso viel Freundlichkeit, Großzügigkeit und Dankbarkeit behandelt worden wie Aruula.
    Sie hob die Linke ein letztes Mal zum Gruß. Noch lange nicht hatte sie sich an das Fehlen der beiden ersten Glieder ihres kleinen Fingers gewöhnt. Sie würde noch viele weitere Nächte lang die Augenblicke der Amputation immer wieder durchleben und schweißgebadet aufwachen.
    Ihr Körper mochte nicht mehr vollkommen sein, doch ihre Seele war intakt; darauf kam es letztendlich an. Aruula war noch immer Aruula.
    Sie wendete das Kamshaa. Überraschenderweise gehorchte das Tier ohne Widerstand.
    Aruula war wieder unterwegs; auf der Suche nach dem brennenden Felsen…
    ENDE
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