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159 - Schimären der Wüste

159 - Schimären der Wüste

Titel: 159 - Schimären der Wüste
Autoren: Michael M. Thurner
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ihr Vorhaben selbst ins Gedächtnis rief. Ihr telepathisches Talent half ihr dabei, die verräterischen Gedanken so weit wie möglich auszublenden.
    Hutzelweiber brachten sie zum Marktplatz. Di’sins Leichnam war längst beiseite geschafft. Niemand verlor auch nur ein Wort über sie. Überhaupt zeigten sich die Schimären-Frauen wenig gesprächig. Sie, die Fremde, war bestenfalls ein Stück Fleisch, das Moogan in den Rachen geworfen wurde.
    Vielleicht spürten sie ein klein wenig Erleichterung darüber.
    Jedes Wort über Widerstand wäre hier fehl am Platz gewesen.
    Man gab ihr süßlich-bitteren Saft zu trinken, rieb ihre Haut mit gelbem Sand fast blutig und steckte sie schließlich in ein tief schwarzes Kleid, dessen Taille erschreckend weit war. Das grobe Material war staubig und erzeugte erheblichen Juckreiz.
    Alles in allem glich die hiesige Mode für die Frau den Tofanen-Sackmodellen, die sie im Laufe der Jahre in Euree in verschiedensten Ausführungen zu Gesicht bekommen hatte.
    »Die Dornenkrone«, sagte eine Vettel schließlich und reichte ihr ein pieksendes, stinkendes Etwas. »Setz sie dir während des Marsches auf, wenn du den Herrn ganz besonders für dich einnehmen willst.«
    »Ich denke gar nicht daran!« Sie gab der Alten den Kranz zurück. »Soll ich mit blutüberströmtem Gesicht auf dem Schattenfelsen anlangen?«
    »Aber ja«, antworteten mehrere Weiber gleichzeitig.
    Der Rest der Vorbereitungen verlief in eisigem Schweigen.
    Drei Generationen von Frauen waren hier versammelt. Sie alle kannten nichts anderes als Moogans Herrschaft und waren seit ihrer Geburt seiner Willkür und seinem Gutdünken ausgeliefert. Sie empfanden die Entscheidungen ihres Herrn als richtig – selbst wenn er sie nach kurzer Zeit widerrief oder gar das Gegenteil forderte.
    Aruula spürte nur zu deutlich die Angst der Frauen – und die Freude darüber, nach langer Zeit endlich wieder einmal das Tageslicht erblicken zu dürfen. Sie alle wirkten unnatürlich blass. Wahrscheinlich waren sie seit mehreren Monden nicht mehr aus der Krustenhöhle herausgekommen.
    »Wann darf ich meinen Bräutigam sehen?«, fragte sie schließlich vorsichtig.
    »Sobald du den Schattenfelsen erreicht hast«, antwortete ein junges Mädchen vorlaut. Augenblicklich wurde es von der Mutter mit einer kräftigen Ohrfeige zum Schweigen gebracht.
    Schläge gehörten hier zum täglichen Leben wie Essen und Trinken. Aruula wollte aufspringen und die Mutter maßregeln, beherrschte sich aber. Es würde am grundlegenden Problem nichts ändern. Die Dinge hier waren vor vierzig Jahren in Gang gesetzt worden. Es würde mindestens ebenso lange dauern, um all das aus den Köpfen der Schimären zu bekommen, was ihnen Moogan angetan hatte.
    Wenn sie denn die Möglichkeit dazu bekamen.
    Schließlich trat N’oia heran. »Es wird Zeit«, sagte er. »Die Sonne hat den Zenit bereits überschritten, wir müssen uns eilen. Außerdem droht ein Sandsturm…«
    »Welch ein Unglück!«, rief eine der Frauen entsetzt.
    Die Weiber zeichneten seltsame Zeichen in die Luft und spuckten über die Schultern ihres jeweiligen Gegenübers.
    Aberglaube, so wusste Aruula, ließ sich niemals ausrotten.
    Es wurde heller und heller in der Kruste. Dutzende Fackeln flammten auf. Weitere Frauen und unzählige Männer kamen schweigend näher. Selbst die völlig entrückte Sta’sy war mit dabei. Sch’izo stützte ihren Körper widerwillig ab. Andere Gestalten, Dutzende von ihnen, völlig orientierungslos und ebenfalls vom Wahnsinn gezeichnet, wurden herbei gebracht.
    Moogans Schreckensherrschaft forderte eine Vielzahl von Opfern.
    Sicherlich weit mehr als fünfhundert Menschen versammelten sich schließlich in der Höhle. Nur wenige ausgezehrt wirkende Kinder standen zwischen den gramgebeugten Erwachsenen, deren einzige Gemeinsamkeit müde Augen waren, in denen sich tiefste Hoffnungslosigkeit spiegelte.
    »Abmarsch!«, befahl eine Stimme von weit oben. Wie auf Kommando setzten sich die Schimären in Bewegung. Zuerst die Frauen, dann die Männer. Kurz erhaschte Aruula einen Blick auf ihren Zukünftigen. Sy’cho trug als einziger keine Tücher um den Kopf.
    Sie passierten den schmalen Einschnitt, der nach oben führte. Trotz der diesmal weitaus besseren Beleuchtung verlief der Marsch inmitten der schweigenden Menschenmasse verwirrend. Aruula besaß zwar einen außerordentlich guten Orientierungssinn – aber ohne Unterstützung hätte sie den Weg durch das Höhlenlabyrinth kaum gefunden. Viele
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