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159 - Schimären der Wüste

159 - Schimären der Wüste

Titel: 159 - Schimären der Wüste
Autoren: Michael M. Thurner
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verstehen, du gut in Kopf! Leider hässlich!«
    »Ja.« Dies war hier wohl die gängige Ansicht. Moogan hatte über die Jahre herkömmliche Schönheitsideale pervertiert.
    Was wollte der Junge von ihr? Möglicherweise würde sie es erlauschen können.
    Aruula ignorierte für einen Moment sein Geplapper, schloss die Augen und konzentrierte sich auf Sy’chos Gedanken.
    Vorsichtig bewegte sie sich vorwärts in dieser zeit- und raumlosen Welt, die ihr seit ihrer Kindheit vertraut war.
    Da war sein Geist, da war sein Denken. Es war verwirrt, von tiefen Narben gezeichnet. Angst, Grimm, Verzweiflung und Schuldgefühle herrschten vor. Doch über allem trieb eine feine Schicht: der dringende Wunsch, Widerstand gegen Moogan zu leisten! Vielleicht würde er sie unterstützen können.
    Aruula kehrte zurück in die stoffliche, greifbare Wirklichkeit. Der Junge radebrechte weiter, als wäre sie die Königin aller Torfnasen. Sie ließ ihn gewähren. So rückten jene verräterischen Gedanken, die sie erkannt hatte, hoffentlich in den Hintergrund.
    Schließlich zuckte er mit den Schultern, fluchte ausgiebig ob ihrer vermeintlichen Dummheit und ließ sich in eine Wombos-Schale plumpsen.
    »Hässlich bist du, uralt und dumm noch dazu«, seufzte er.
    »Eine seltene Kombination. Moogans Befehl, dich zu heiraten, ist von seltener Grausamkeit.«
    Es reichte.
    »Wenn du dich nicht sofort entschuldigst, du Lausebengel«, fauchte Aruula ihn an, »versohle ich dir den Hintern. Du magst mich blöd und garstig nennen; aber das ›uralt‹ nehme ich dir übel!«
    »Du… du kannst ja sprechen!« Sy’cho sprang auf, schob die Hände abwehrend vor sich und lief von einer Sekunde zur nächsten rot an. »Verzeih mir – ich dachte …«
    »Du solltest besser nicht denken!«, unterbrach sie ihn schroff. »Wer weiß, wer uns belauscht.« Vielsagend blickte sie nach oben.
    Sy’cho nickte. Er war ein gewitzter Junge und verstand augenblicklich, was sie meinte.
    »Erzähl mir von der Zeremonie«, fuhr Aruula fort. »Wann sollen wir uns eigentlich vermählen?«
    »Morgen bei Sonnenuntergang am Schattenfelsen. Wenn die Zeit gekommen ist, wird Moogan die Schimären dorthin führen.«
    Aruula horchte auf. »Sta’sy hat von diesem Felsen gesprochen«, erinnerte sie sich. »Er liegt an der Oberfläche, richtig?«
    »Genau. In einem kleinen Tal, das kreisrund von schroffen Felszacken umgeben ist. Wenn die Sonne sinkt, malen die Schatten geheimnisvolle Bilder auf den Felsen, der etwa mannshoch und an der Oberseite abgeflacht ist. Sobald die Schatten den Felsen zur Gänze verschlungen haben, wird die Zeremonie vollzogen…«
    Sy’cho erzählte schwärmerisch weiter, aber Aruula hörte kaum mehr zu. Ihr war ein Gedanke gekommen, den sie nun mit aller Macht abschirmte, indem sie sich auf andere Dinge konzentrierte. Auf ihr Schwert, das sie schmerzhaft vermisste.
    Auf den roten Stein, dessen Ruf sie seit Wochen folgte.
    Die Hoffnung war nur ein winziger Lichtpunkt in ihr, und sie hoffte, ihn bis morgen Abend vor Moogan verbergen zu können…
    ***
    Jemand rüttelte heftig an Aruulas Schulter. Sie drehte sich murrend zur Seite und wollte weiterschlafen, doch der Quälgeist ließ sich nicht abschütteln. »Los, hoch mit dir!«
    Aruula erinnerte sich vage an die Stimme. N’oia hieß der Knabe. Ächzend stützte sie sich hoch und blickte sich um.
    Sta’sy hockte nach wie vor in einer Ecke. Sie wiegte den Kopf vor und zurück, vor und zurück. Anscheinend hatte sie die ganze Nacht kein Auge zugetan und sich stattdessen ihren inneren Schrecken hingegeben.
    Aruulas Bräutigam hingegen lag bäuchlings in einer Wombos-Schale. Er schnarchte laut.
    »Richte dich her, Weib!«, sagte N’oia. »Moogan will dich vor der Hochzeitszeremonie noch einmal sehen.«
    »Ja, ja, schon gut!« Aruula ging zu einem bereitstehenden Trog und wusch sich das Gesicht. »Was will er denn von mir?«
    N’oia leckte sich über die Lippen und sah sich nervös in dem kleinen Raum um. »Es scheint, als wäre er sich deiner nicht ganz sicher.«
    »Wie sollte er auch?« Aruula lachte bitter. »Glaubt er etwa, dass er mich von seinen guten Absichten überzeugen könnte, indem er mir einen Finger abschneidet?« Sie reckte N’oia ihre Linke entgegen.
    »Ich gebe dir einen guten Rat, Aruula: Vergiss jeden Gedanken an Widerstand! Nimm das Schicksal hin, wie der Herr es dir gibt. Sei dankbar für jeden Tag deines Lebens…«
    »Niemals werde ich…« Aruula unterbrach sich, als bohrender Schmerz in
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