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159 - Schimären der Wüste

159 - Schimären der Wüste

Titel: 159 - Schimären der Wüste
Autoren: Michael M. Thurner
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dass wir uns hier häuslich niederlassen könnten. Oh – was haben wir gelitten in den ersten Tagen und Monden! Speziell wir Weiber bekamen das Firmament kaum mehr zu sehen. Die Männer gingen ab und zu auf die Jagd, molken die Sandquallen oder ernteten Obst und Gemüse. Doch auch sie wurden immer griesgrämiger und verschlossener. Die Krankheit, die uns befallen hatte, wollte und wollte nicht weichen. Frauen und Männer verfielen in dumpfes Brüten, fügten sich selbst fürchterliche Wunden zu oder nahmen sich das Leben. Und niemand brachte diese schrecklichen Vorgänge mit Moogans Anwesenheit in Verbindung. Die Monde wurden zu Jahren. Kinder wurden in der Kruste geboren, die das Tageslicht kaum mehr zu sehen bekamen. Moogan, der mittlerweile dank seiner Raffinesse in den Rat der Weisen aufgenommen worden war, fand in ihnen leichte Opfer. Er formte sie, wie es ihm beliebte, machte sie zu seinen Geschöpfen. Lehrte sie, vom Schmerz und im Schmerz zu leben. Ich habe lange Jahre darüber gegrübelt, was ihn daran so reizt, bin aber nie dahinter gekommen. Vielleicht labt er sich an unserem Leid, vielleicht bezieht er daraus Lebensenergie. Denn während all der Jahre, die die Schimären bereits in der Kruste verbringen, ist er kaum gealtert. Sieh dich um, Aruula. Du wirst nur noch Missgunst, Neid und Widerwillen finden. Alle Schimären, die hier leben, sind von Moogan geprägt. Seit zwanzig Jahren tritt er offen als unser Herrscher auf. Sein letzter Widersacher stopfte sich selbst Giftschlangen in den Rachen. Kaum noch jemand kann sich an die Zeit vor Moogans Ankunft erinnern. Möglicherweise bin ich sogar die letzte. Mit mir stirbt das Wissen um das Gestern, denn er hinderte mich daran, es weiterzugeben. Erst jetzt, an der Schwelle zum Tod, lässt sein Einfluss nach. Ich spüre ihn, Aruula. Er wird in wenigen Augenblicken hier sein. Er starrt auf die Sterbenden herab und labt sich an ihnen. Es scheint ihm einen besonderen… Geschmack zu geben. Ich flehe dich an: Lass mich nicht als Beute eines Wahnsinnigen enden. Hier ist mein Messer. Stoße es mir ins Herz, rasch, bevor er da ist! Wie man ihn besiegen kann, willst du wissen? Kannst du dir vorstellen, wie viele Tage und Nächte ich über diesem Rätsel gebrütet habe? Ich weiß zumindest, dass er eine Schwachstelle besitzt. Er tötet uns und macht mit all seinen düsteren Gedanken die Frauen unfruchtbar, obwohl er doch weiß, dass er das Volk der Schimären benötigt. Unsere Widerstandskraft und unser Wille sind mit den Jahren geschwunden. Darum braucht er Nachschub von draußen, frisches Blut wie dich. Sei dir dessen bewusst, dass du für ihn unersetzlich bist. Er sieht in dir die Mutter einer neuen Generation von Schimären. Er wird dich also nicht töten. Ein weiterer Gedanke verfolgt mich schon seit längerem: Warum wollte Moogan damals, dass wir uns hier in der Kruste verkriechen? Hätte seine Macht an der Oberfläche versagt? Und warum bleibt er die meiste Zeit in seinem Wohnbereich? Kann es sein, dass dieser gewaltige Raum seine dämonischen Fähigkeiten verstärkt? Denk darüber nach, Aruula, denk darüber nach. Ich kann ihn hören und spüren. Ich bitte dich nun: Erfülle mir meine letzte Bitte…«
    ***
    Aruula reinigte gerade die blutige Klinge an einem Stoffrest, als Moogan in Begleitung seiner beiden grimmigen Leibwächter heran war.
    »Di’sin hat mich darum gebeten«, sagte sie leise zu ihm.
    Trotz der schrecklichen Tat, die sie begangen hatte, wuchs ein seltsames Gefühl der Befriedigung in ihr. »Die Zeit für sie war gekommen, und ich wollte ihr lange Schmerzen ersparen.«
    »So, so.« Moogan grinste, als hätte Aruula einen besonders guten Witz erzählt. »Konnte sie dir noch etwas sagen?«
    »Sie hat eine Art… Beichte abgelegt«, wich Aruula aus.
    »Gewisse Dinge gingen ihr nicht aus dem Kopf.«
    Sein Blick wurde prüfend. Er versuchte sie zu durchdringen, ihre Beweggründe zu erfassen. Aber er schien nicht auf ihre Gedanken zuzugreifen. »Du bist neu hier«, sagte er schließlich.
    »Deswegen verzeihe ich dir, meine Beste. Aber merke dir, dass es allein meine traurige Pflicht ist, die Schimären ins Jenseits zu begleiten. Sie fühlen sich wohler, wenn ich ihnen dabei helfe.« Er setzte erneut ein freundliches Gesicht auf. »Schmerzt der Finger noch? Nein? Sta’sy ist ein geschicktes Mädchen mit der Nadel. Ich denke mir, dass du einiges von ihr lernen könntest…« Moogan strahlte sie mit seinen graublauen Augen an, als könnte er kein
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