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Verstoßen: Thriller (German Edition)

Verstoßen: Thriller (German Edition)

Titel: Verstoßen: Thriller (German Edition)
Autoren: Esther Verhoef , Berry Escober
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    Miguel pfiff die Melodie aus dem Radio leise mit und trommelte im Rhythmus dazu mit den Fingern aufs Lenkrad. Irgendein Discostück aus den Siebzigern. Besonders laut lief das Radio nicht. Das fiele sonst auf.
    Durch das geschlossene Autofenster schaute er nach draußen.
    Das gedrungene, holzverkleidete Gebäude der Vorschule lag schräg gegenüber auf der anderen Straßenseite. Die Vorderfenster, die auf den Spielplatz hinausgingen, waren fast bis auf den letzten Quadratzentimeter mit Figuren aus Pu der Bär und der Sesamstraße vollgemalt. Auf der Eingangstür klebten in der Mitte – oben und unten war Drahtglas – lauter Zettel mit irgendwelchen Mitteilungen.
    Er kannte den kleinen weißen Bau inzwischen so gut, dass er mit geschlossenen Augen eine Zeichnung davon hätte anfertigen können. Maßstabsgetreu. Die Breite hatte er sich anhand der Betonplatten erschlossen, die den Spielplatz pflasterten, und mittels geschätzter Höhe und Tiefe die Kubikmeterzahl ausgerechnet. Um dann im gleichen Atemzug zu bestimmen, wie viel C 4 er für den Kasten brauchen würde, wo es anzubringen wäre und in welcher Reihenfolge es optimalerweise gezündet werden müsste.
    Völlig sinnlose Informationen.
    Es durfte niemand zu Tode kommen. Das war ihm nachdrücklich aufgetragen worden. Aber mit irgendetwas musste er sich schließlich die Zeit vertreiben, während er hier reglos auf
seinem Beobachterposten ausharrte. Ein bisschen Hirngymnastik, damit er nicht einschlief.
    Er gähnte und sah auf die Uhr. Beinahe zwölf.
    Eigentlich hätte er so einen öden Scheißjob jemandem wie Thierry überlassen sollen. Aber er hatte es nicht mal mit ihm besprochen. Thierry war jung und übermütig, das Testosteron dampfte ihm aus allen Poren. Also machte er womöglich Fehler. Um nicht zu sagen: machte er bestimmt Fehler. Die machte Thierry nämlich am laufenden Band.
    Also übernahm er die Sache lieber selbst, obwohl er eigentlich zu gut dafür war. Der Manager von Tesco oder Lidl, der an der Kasse aushilft. Ein Mitglied des Shell-Vorstands als Tankwart. So kam er sich vor.
    Aber gut, es gab Schlimmeres. Die Spuren von etwas Schlimmerem trug er tagtäglich mit sich herum. Grimmig kratzte er sich an den Mundwinkeln, schaute kurz in den Innenspiegel des Mietwagens, eines VW Golfs, und wandte verärgert den Blick ab. An die ramponierte Visage hatte er sich noch immer nicht gewöhnt. Bei nasskaltem Wetter wurden die Narben rot und fingen höllisch an zu jucken.
    Um nicht ständig an seinem Gesicht herumzukratzen, legte er die Finger ums Lenkrad und konzentrierte sich auf das Vorschulgebäude. Unter den gemalten Bildern an der Wand saßen Kinder an niedrigen Tischen. Zwei Betreuerinnen, kaum älter als fünfundzwanzig, gingen auf und ab, klatschten in die Hände und lachten.
    Er sah auf die Uhr. Punkt zwölf. Gleich würde die Zielperson abgeholt. Wie bereits letzten und vorletzten Freitag würde er dem Wagen folgen, um zu prüfen, ob die Fahrt ohne irgendwelche Umwege zu der in einem Außenbezirk gelegenen Villa führte.
    Wenn dem so war, würde er seinen Beobachterposten verlassen. Dann konnte es richtig losgehen.
    Darauf freute er sich. Aktion. Etwas tun , statt abzuwarten.
    Während er gelangweilt die naive Fröhlichkeit hinter den Fensterscheiben im Blick behielt, schweiften seine Gedanken nach Kolumbien ab. Noch vor ein paar Jahren hatte er sich ein Leben fernab seines Vaterlands nicht vorstellen können. Aber da hatten sie ihm auch noch nicht diese Clownsvisage verpasst. Diese paranoiden remalparidos . Diese Arschlöcher.
    Er hatte nur machen können, dass er wegkam, raus aus der Schusslinie, und sich ganz woanders ein neues Leben aufbauen. Das Schicksal hatte es gut mit ihm gemeint, das ließ sich nicht bestreiten. In Europa Arbeit zu finden, war, wie sich herausgestellt hatte, ein Kinderspiel. Erfahrung galt als seltenes Gut und wurde hier, auf der anderen Seite des Atlantiks, auch anständig bezahlt. Sein neuer Boss vertraute ihm hundertprozentig und ließ ihn so viel wie möglich selbst regeln. Der sah ihm nicht auf die Finger. Drei Mann unter sich und ein hohes Maß an Handlungsfreiheit – er konnte sich nicht beklagen.
    Am Straßenrand vor der kleinen Schule hielten die ersten Autos. Automatisch griff seine Hand nach der Zeitung auf dem Beifahrersitz. Über dem Lenkrad schlug er sie auf und öffnete dann die Zellophanverpackung eines Schinkensandwichs, das er am Morgen bei der ersten Autobahntankstelle hinter der niederländischen
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